Schule unter Segeln: „Lernen, dass die Grenzen im Kopf nicht die wahren Grenzen sind“.
Alexander Grau war für drei Wochen Teil des Ocean College-Teams, um den Jugendlichen der Schule unter Segeln wichtige Medienkompetenzen näher zu bringen. Gerade hat er seine Bachelorarbeit über die kommunikative Medienstrategie und kommunikative Instrumente rechtspopulistischer und -extremer Akteur*innen in sozialen Netzwerken mit dem Schwerpunkt auf Facebook geschrieben. Sie ist krönender Abschluss seines Medienmanagement-Studiums mit journalistischer Vertiefung an der Hochschule Mittweida.
Mit weiteren Studierenden hat er als Projektleiter und Leiter des Recherche-Teams die multimediale Reportage „Sturm über Chemnitz“ erarbeitet, die sich mit den Ausschreitungen in Chemnitz Ende 2018 multiperspektivisch auseinandersetzt. Die Reportage wurde später für den Alternativen Medienpreis nominiert und hat ein würdigende Anerkennung des Gutenberg-Recherche-Preises ausgesprochen bekommen. Seine Erfahrungen als junger Journalist und sein Wissen, ganz frisch und aktuell im Studium vermittelt, teilte er nun mit den Schüler*innen der Schule unter Segeln.

OC: Alex, was war denn für dich der ausschlaggebende Punkt, Teil eines Ocean College Törns werden zu wollen?
Alex: Ich habe zuletzt ein halbjähriges Praktikum bei der außerschulischen Bildungsinitiative MESH Collective in Berlin absolviert. Dort hat mir meine Chefin von Ocean College erzählt und ich war sofort von der Idee begeistert. Da ich einerseits ein Abenteuer-Mensch bin und andererseits Medienkompetenz als eines der wichtigsten bildungsrelevanten Felder unserer Zeit sehe, hat für mich alles gestimmt und ich wollte ein Teil der Crew werden.
OC: Und wie lange warst du an Bord und wo bist du aus- bzw. zugestiegen?
Alex: Ich war insgesamt drei Wochen mit der Pelican unterwegs. Zugestiegen bin ich in Vigo in Südspanien und verlassen musste ich die kleine Ocean College Familie in Madeira. Da wurde es dann langsam Zeit, um mit meiner Bachelorarbeit anzufangen.
OC: Was sind deine persönlichen Learnings aus der Zeit?
Alex: Persönlich konnte ich aus der Zeit sehr viel mitnehmen. Das Wichtigste habe ich gleich zu Beginn gelernt – gegen Seekrankheit hilft nur liegen und schlafen. Darüber hinaus war es eine Vielzahl von Kleinigkeiten, die es zu einer ganz speziellen Erfahrung gemacht haben. So hat sich auf dem Schiff gezeigt, dass ein gut funktionierendes Team alles ist, was es braucht, um erfolgreich von A nach B zu kommen.
Dabei fand ich es besonders beeindruckend zu sehen, wie jede:r Einzelne es geschafft hat, seine oder ihre eigenen Befindlichkeiten hinten anzustellen und die Gruppe zu unterstützen.
Sei es eine Wache, in der die Hälfte der Watch seekrank ist und trotzdem alles funktioniert, weil die einen die Aufgaben der anderen übernehmen. Am stärksten aufgefallen ist mir jedoch, dass alle die gleichen Bedürfnisse hatten und sich über die gleichen Dinge gefreut haben. Es mag stumpf klingen, aber die kleinen Dinge haben die großen Begeisterungen hervorgerufen – eine Dusche, ein leckerer Nachtisch, Schlaf, Delfine und schöne Sonnenauf oder -untergänge. Oh und das wichtigste vielleicht zuletzt – ein Raum ohne Smartphones und „soziale“ Medien ist deutlich sozialer als einer mit. Ich habe lange nicht mehr so viele Menschen auf einem Haufen gesehen, die sich miteinander unterhalten – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.

OC: Du warst für den Pathway „Media“ zuständig. Was hast du mit den Jugendlichen in deiner Zeit in der Schule unter Segeln erarbeitet?
Alex: Zu Beginn haben wir uns mit grundlegenden Funktionen von Kameras auseinandergesetzt, uns Regeln zur Bildgestaltung angeschaut und die ersten Schritte zur Produktion von eigenen Videos gemacht. Mir war dabei wichtig, so viel Praxis wie möglich in den Unterricht einfließen zu lassen, weshalb die Schüler:innen sehr viel selbst an den Kameras gearbeitet und Bilder und Videos produziert haben.
Danach haben wir uns mit den großen Playern der Tech-Industrie beschäftigt.
Womit verdienen Google und Facebook eigentlich ihr Geld? Welche Daten werden von Nutzer:innen wie gesammelt und verwertet? Welche Konsequenzen hat das für einzelne Personen und ganze Gesellschaften?
Neben den Gefahren und möglichen negativen Effekten von sozialen Netzwerken haben wir uns aber auch gleichzeitig mit positiven Nutzungsmöglichkeiten von ebendiesen auseinandergesetzt.
Dem folgend haben wir uns mit verschiedenen Phänomenen beschäftigt, die speziell in sozialen Medien auftreten. Was sind Desinformationen? Wie erkenne ich sie? Wie gehe ich mit Hate Speech um? Hierbei ging es vor allem darum, den Schüler:innen praktisches Wissen zu vermitteln, damit sie sich sicher in sozialen Medien bewegen können.
Zum Schluss haben wir uns mit Meinungs- und Pressefreiheit auseinandergesetzt. Was ist Meinungs- und Pressefreiheit? Welche Bedeutung haben sie für demokratische Staaten? Wie ist der globale aktuelle Stand diesbezüglich? Hierbei haben wir auch grundlegende Funktionen und Arbeitsweisen des Journalismus besprochen.
OC: Wie hast du die Jugendlichen in deiner Zeit an Bord erlebt?
Alex: Als ich in Vigo ankam und auf das im Hafen liegende Schiff zulief, rannten direkt die ersten Schüler:innen auf mich zu und begrüßten mich überschwänglich. Ich war sofort begeistert von der Offenheit, Herzlichkeit und der Neugierde, die mich dort empfing. Dieses Gefühl hat sich auch die drei Wochen durchgezogen, die ich mit an Bord war. Innerhalb kürzester Zeit haben sie mich als ein Teil ihrer Gruppe aufgenommen, sodass die vermeintliche Barriere zwischen Lehrer und Schüler*innen gar nicht erst entstehen konnte.
Darüber hinaus waren die Jugendlichen ein großes Team. Natürlich gab es hier und da kleine Gruppen, aber im Großen und Ganzen haben sie als ein Team agiert.
Sie haben sich gegenseitig unterstützt, wenn es einem oder einer schlecht ging und haben gegenseitig Verantwortung füreinander übernommen.
Die Stimmung an Bord war überwiegend sehr gut und ausgelassen, allerdings gab es auch Tage, an denen man die Müdigkeit und miese Laune nicht übersehen konnte. Aber auch in den Momenten gab es immer wieder Leute, die die entsprechenden Personen aufgemuntert haben. Ich persönlich empfand die Tage auf See sehr anstrengend. Vor allem die Watches in Kombination mit beginnendem Unterricht und möglicherweise noch Seekrankheit haben sehr viel von allen abverlangt. Doch genau in diesen Momenten hat die Gruppe perfekt funktioniert. Gefühlt haben alle gelitten, die einen mehr, die anderen weniger. Das Sprichwort: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, trifft das meiner Meinung nach sehr gut. Doch das soll nicht falsch verstanden werden – es war eine wunderschöne und sehr bereichernde Zeit. Vermutlich hat gerade das Überschreiten der körperlichen und teilweise auch mentalen Grenzen den Aufenthalt so besonders gemacht. Alle sind an den Herausforderungen gewachsen – das habe ich sogar in so kurzer Zeit sehen können.

OC: Was denkst du, können Jugendliche bei Ocean College lernen, was sie in der Schule nicht lernen?
Alex: Bei Ocean College sind die Schüler:innen tagtäglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Dabei stoßen sie jeden Tag an neue Grenzen, körperlich wie auch mental. Somit erweitern sie kontinuierlich ihre Komfort-Zone und lernen, über sich hinauszuwachsen.
Sie lernen, dass die Grenzen, die sich in ihrem Kopf befinden, nicht ihre wahren Grenzen sind. Und ich denke, das ist der größte Unterschied zwischen Ocean College und „normalen“ Schulen.
Während in der Schule theoretisches Wissen vermittelt wird, lernen die Schüler:innen bei Ocean College sich selbst und die Bedeutung von einer gut funktionierenden Gruppe kennen. Und ganz nebenbei sehen sie auch noch die Welt, was ihre interkulturelle Kompetenzen und globales Bewusstsein stark beeinflussen dürfte.
Die Schule unter Segeln legt ein Mal pro Jahr ab. Bewerbungen für den Törn 2022/23 sind noch möglich. Hier gibt es alle Infos zur Anmeldung.