Der letzte Tagesbericht

Schiff: Johnny
Datum: 20.04.2025
Position: Wieder zu Hause

Verehrte SchülerInnen, LehrerInnen, Crew, Eltern, Großeltern, Geschwister, Tanten, Onkel, Freunde, Haustiere, ehemalige Medics und natürlich unseren Dad, Johan.

Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, als wir uns dazu entschlossen haben, etwas ganz Verrücktes zu tun: Sechs Monate keine Privatsphäre. Doch das hielt uns nicht davon ab, uns bei Ocean College zu bewerben. Selbst Johans zahlreiche Versuche, uns von dieser Reise abzuhalten, waren erfolglos.

Und so steht jeder Einzelne von uns jetzt hier – mit 27 sind wir gestartet und mit 27 kamen wir wieder an.

Ich erinnere mich noch genau an das nervöse Kribbeln, als ich im Auto saß, der Moment, wo ich dachte: „Oh shit, jetzt gibt es kein Zurück mehr“ und die Aufregung, als ich das erste Mal die Johnny sah.

Doch sobald ich ankam, wurde ich herzlich begrüßt, und alle Sorgen waren mit einem Mal verschwunden. Von da an gab es nur noch Freude – Freude auf das Segeln, auf die nächsten sechs Monate, fremde Länder und die neue Familie.

Wie sehr mir diese Menschen ans Herz wachsen würden, konnte ich damals ja noch nicht ahnen. Und sicherlich ging es nicht nur mir so – der Beginn von Ocean College war für uns alle eine besondere Zeit.

In diese Wachzeiten hineinzukommen, mit allen Aufgaben wie Wetter, Aufräumen, Wecken und Segelmanöver, war anfangs sehr viel auf einmal. Zusätzlich fanden wir uns gemeinsam an der Reling zum Fischefüttern – und wuchsen so aber auch sehr schnell zusammen. Nachdem sich alles beruhigt hatte, meldete sich mehr und mehr unser Kapitän Norbert. Er machte mit uns Unterricht, zeigte uns das Segeln und ermutigte uns ständig, unser Bestes zu geben.

Und obwohl wir erst knapp zwei Wochen unterwegs waren, warfen uns die allerersten Briefe kurz in Sehnsucht nach unseren Geliebten zu Hause.

Noch am Ankunftstag war die Frage: Wal, Hai oder Delfin? Damals löste allein der Gedanke an eines dieser Tiere Hoffnung und Vorfreude aus. Und so war es auch – unsere erste Delfinsichtung war begleitet von aufgeregten SeefahrerInnen, die staunend und strahlend an der Reling standen. Der erste „Kommt hoch, da ist ein Wal!“-Ruf sorgte erst für Unglauben und mündete kurz danach in völliger Begeisterung.

Und um mit allen drei gesichteten Tieren abzuschließen, darf natürlich der Katzenhai in San Blas nicht vergessen werden. Jede einzelne Sichtung war von Freude begleitet, doch der gut erkennbare, rausspringende Buckelwal war ein echtes Highlight.

Das Leben im Einklang mit der Natur hat uns ein neues Verständnis zu ihr geschaffen. Deshalb, liebe Eltern, wundert euch nicht, wenn ihr ab jetzt nachtaktive Jugendliche bei euch zu Hause habt, die um 04:00 nachts der Meinung sind, sie müssten nach draußen, um vor dem Haus Wache zu gehen.

Die Nacht auf See ist neben Kälte vor allem von Schönheit geprägt. Ohne Stadtlichter, die die Farbe der Nacht verfälschen und nur der Dunkelheit um einen herum, fängst du an zu sehen – und dann fällt dir auf, wie schön das silbrige Mondlicht auf dem schwarzen Ozean schimmert und die Sterne am Nachthimmel über dir leuchten. Ob Großer Wagen, Orion, Zwilling, Stier, Herkules und viele Sternenbilder mehr – wir haben sie gesehen.

Doch nicht nur die Nacht, auch die Sonnenauf- und -untergänge waren schon so oft ein Highlight für uns. Egal ob pfirsichfarben, knalliges Orange, sanftes Rosa oder feuerrot – der Himmel hat uns wunderschöne Verläufe gezeigt und gemeinsame Momente im ersten und letzten Tageslicht beschert.

Ich möchte jetzt noch über Zeit reden, denn für uns war sie sehr verwirrend. Anfangs fühlte sich jeder Tag wie drei an, der erste Monat wie eine Ewigkeit, und wir dachten uns: „Wozu noch in den Kalender schauen? Die Zeit scheint ihre eigene Idee zu haben, wie sie vergeht.“ Zum Ende hin verflog jeder Tag schneller, und plötzlich sind wir hier.

Wenn wir jetzt auf die Reise zurückblicken, passiert alles auf einmal und die Erinnerungen sind knapp aneinandergereiht. Es ist wirklich verrückt, wie die Reise so schnell und gleichzeitig so langsam nun ihr Ende findet.

Gedicht von Noam:

Ich hab hier jetzt zwar keine fette Torte,
dafür noch ein paar nette Worte.
Als ich eines Abends durch die Messe lief,
mich Toni plötzlich zu sich rief.
Dort angekommen fragte er adhoc:
Ey Noam, hast du vielleicht Bock,
’nen paar Zeilen zu reimen, so zum Abschluss –
das Angebot nahm ich mit Handkuss.
Jetzt steh ich hier vor Kind und Kegler,
und denk mir: „Oh, war’s ’nen Fehler?“
Eigentlich sollte ich doch nicht übers Dichten dichten,
sondern über uns’re Schiffsgeschichten.
Doch da gibt’s so viel zu erzählen,
dass mir gerad’ echt die Worte fehlen.
Ich versuch’s mal zu beschreiben –
ich könnt’ mir vorstellen, hier zu bleiben.
Die Leute, die ich einst nicht kannte,
die ich einmal Fremde nannte,
war’n ein halbes Jahr eine Konstante
und sind für mich jetzt wie Verwandte.
Eines kann ich jetzt schon wissen:
Ich werd’ euch alle krass vermissen.
In die Zukunft kann ich nicht sehen,
außer, dass bald alle gehen.
Doch nicht traurig sein – ihr müsst verstehen,
wir werden uns sicher wiedersehen.

Danke!

Doch diese Reise war nicht leicht. Bei all den schönen Momenten darf vor allem eines nicht vergessen werden: Die Herausforderungen. Vor Schwierigkeiten wurden wir jeden Tag aufs Neue gestellt.

Da waren die immer wiederkehrenden Aufgaben wie Grüner Plan und Reinschiff, für die wir jede Woche aufs Neue Energie aufwanden, um die Johnny ordentlich – oder sagen wir ehrlich – bewohnbar zu lassen.

Wovon wir alle viel zu wenig hatten: Schlaf. Eine große Menge Schlaf und ein wenigstens annähernder Rhythmus ist für uns ein wirklicher Lichtblick.

Ob schlaflose Nächte durch Hitze oder Sturm, Bewegungsmangel, Durchfallwellen, die sehr hartnäckige Borkenflechte (bei uns bekannt als Baum), Schwarzwasserfilter, die zunehmende Verblödung oder die nicht vorhandene Privatsphäre – wir haben alles überstanden.

Einer der größten Herausforderungen war die Backschaft. Vielleicht denkt ihr euch: Was soll an Kochen schon so schwer sein? Dann versichere ich euch:

Habt ihr noch nie für 37 Leute auf engem Raum bei starkem Seegang mitten in der Karibik gekocht. Ihr habt bestimmt noch nie am Herd gestanden, während das Essen von euch wegrutschte, und die Temperaturen so heiß waren, dass der Schweiß wortwörtlich von euch runtertropfte. Ihr habt nicht viermal am Tag abgewaschen, abends die Kombüse geputzt und über den ganzen Tag keine fünf Minuten Pause gehabt. Wir haben gelitten, aber wir haben gelernt.

Inzwischen hat sich jeder von uns zum echten Koch-Profi entwickelt, der selbst Lasagne, Pizza oder Knödel mit Leichtigkeit zubereiten kann.

Herausforderungen haben uns die gesamte Reise lang begleitet, doch an ihnen sind wir gewachsen – und durch diese sind wir stark geworden.

Genug von uns. Jetzt möchten wir das Wort an diejenigen Menschen richten, ohne die wir heute nicht hier stehen würden: unsere Eltern. Ihr begleitet uns beim Heranwachsen, ihr beschützt und unterstützt uns, und wenn wir Hilfe brauchen, nehmt ihr uns an die Hand.

Doch vor dieser Reise kam für euch der Zeitpunkt, loszulassen und eure Kinder in fremde Hände zu geben. Auch ihr seid mitgewachsen – nur eben an Land. So weit draußen im Meer waren wir auf uns selber gestellt. Für dieses Vertrauen in uns möchten wir uns bei euch bedanken.

Unser ganz besonderer Dank geht an Johan. Du hast nicht nur dafür gesorgt, diese gesamte Reise möglich zu machen, sondern auch Deine ganze Freizeit geopfert, damit ein Haufen durchgeknallter Jugendlicher zweimal über den Teich segeln kann.

Und selbst wenn dies deine achte OC-Reise ist, möchten wir nicht in Frage stellen, wie viel Mühe und Anstrengung Du in die Planung gesteckt hast. Wir bedanken uns bei Dir und dem gesamten Ocean-College-Team.

Nun zu den vier Personen, die sechs Monate lang Babysitter, Bespaßer und Organisatoren spielen durften: Unsere Lehrer. Euer Unterricht war echt MEGA GEIL. Ihr habt mit uns gelebt, habt unsere Sprache geprägt und seid Moms & Dads geworden. Vielen Dank für sechs Monate voller schöner Momente und Erinnerungen, die ein Leben lang bleiben werden.

Und an alle Schüler: Ihr seid die Besten. Mama y Papa lieben euch <3

Eine Frage an alle: Angels?
Gerufen: SIPPEN!

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