Datum: 28. Oktober 2022
Autorinnen: Annbritt und Leni
Position: Biskaya
Nautical Position: 49˚ 54,6 N 005˚09,1 W
Etmal: 527,7 NM
Endlich ist der große Tag gekommen. Wir treten unseren Weg nach Süden an und wagen uns in die kalte, stürmische Biskaya, immer das Ziel, die wärmende Sonne Spaniens bald am Horizont aufgehen zu sehen, vor Augen.
Es geht los!
Nach einer letzten Nacht des Wartens vor Anker rasselten heute bei Sonnenaufgang die Ankerketten. Der Bug der Pelican wandte sich der Weite des Ozeans zu und wir verließen die Bucht, in der wir vor dem gestrigen Sturm Schutz gesucht hatten. Die ganze Besatzung fieberte den Tagen auf See und der baldigen Ankunft im schönen Spanien entgegen und so fuhren wir unter dem klaren blauen Himmel und gewärmt von der strahlenden Sonne euphorisch dahin. Vorbei an riesigen Containerschiffen, immer auf der Hut vor kleinen orangen Fischerbojen und gelegentlich begleitet von Möwen und anderen Seevögeln zog sich der Vormittag traumhaft dahin.
Der Seegang sagt guten Tag
Nachdem wir die Küstenregion verlassen hatten und unseren Weg in offenen Gewässern fortsetzten, bekamen wir langsam aber sicher die Auswirkungen des nächtlichen Unwetters zu spüren. Mächtige, langgezogene Wellengebirge, in der Fachsprache als „Swell“ bezeichnet, türmten sich vor uns auf und katapultierten den Bug der Pelican weit aus dem Wasser, um ihn dann wieder nach unten schnellen zu lassen. Für Freunde von Achterbahnen sicherlich amüsant, doch um darin zu leben ist eine derart schwankende Umgebung unglaublich anstrengend. Laufen, Essen, Trinken, auf die Toilette gehen, Socken anziehen… Nichts funktioniert mehr ohne Probleme, ständig läuft man irgendwo gegen, der Magen fühlt sich an, als hätte jemand einen Mixer darin angeschaltet und der Kopf fühlt sich nach einer Weile wie in der Zentrifuge herumgewirbelt an.

Wir sagen gute Nacht
So kühlte sich die anfängliche Freude mit Voranschreiten des Tages merklich ab und der anfängliche Traum nahm für einige von uns, die die Seekrankheit am schlimmsten erwischt hatte, die Gestalt eines Albtraumes an. Das Leben auf dem Schiff unter diesen Bedingungen beschränkte sich auf die Pflichterfüllung während der Watch, dem Einnehmen der Mahlzeiten, dem Dopen mit Seekrankheitstabletten (fast schon ein Sport hier an Bord) und auf Schlafen.
“Eat when you can, sleep when you can, work when you have to”. Mittlerweile haben wir alle verstanden, wie wichtig es ist, jede Gelegenheit Schlaf nachzuholen, zu nutzen und niemand macht sich mehr Gedanken über einen Tag-Nacht-Schlafrhythmus. So etwas gibt es an Bord eines Schiffes nicht. Am Nachmittag war die sonst mit Wizard und Schach spielenden Jugendlichen gefüllte Messe wie ausgestorben. Jeder, der gerade nichts zu tun hatte, verkroch sich in seine Koje, um den Krallen der Seekrankheit ins Reich der Träume zu entkommen.

Heiligtum Koje
Äquivalent zur Wichtigkeit von Schlaf gewinnt auch unsere Koje immer mehr an Bedeutung. Sie ist unser Schlafplatz und überdies unser einziger privater Bereich hier an Bord. Die Heiligkeit und Privatheit der Kojen ist sogar in unserem Verhaltenskodex festgehalten, nur dort kann man sich sicher sein, seine Ruhe zu haben. Zudem ist unsere Koje bei den meisten von uns auch zusätzlicher Stauraum, gepflastert mit Panzertape und Schuhorganizern, denn alles Notwendige für ein halbes Jahr in einem Regalfach und einer Kiste zu verstauen ist so gut wie unmöglich. Diese Eigenart unserer Kojen kann zuweilen auch die Schlafqualität in ihnen negativ beeinflussen. Nicht wenigen von uns ist bei Seegang schon mal ein Schuhorganizer mitten in der Nacht ins Gesicht gefallen. Generell kann das Schlafen bei starker Schwankung eine Herausforderung sein und es gilt Taktiken und stabile Schlafpositionen zu entwickeln, um nicht wild im Bett herumzurutschen.

Solidarität:
Neben Schlaf sowie genug Trinken und Essen ist das vielleicht Wichtigste hier an Bord das gegenseitige Unterstützen. Übergibt sich jemand, holen andere Wasser und Tücher und reden ihm/ihr gut zu. Geht es jemandem schlecht, ist immer jemand zum Knuddeln oder Reden da. Wir achten auf die Sicherheit unserer Crewmates, fangen sie auf, wenn sie das Gleichgewicht verlieren, klippen ihre Karabiner an die Sicherheitsleinen, wenn sie es vergessen oder schlicht nicht mehr dazu in der Lage sind und übernehmen, wenn nötig ihre Arbeit, um ihnen eine Pause zu ermöglichen. Jeder ist hier auf jeden angewiesen. Niemand wird diese Reise ohne Hilfe überstehen, denn wir alle haben uns mit Ocean College für eine Herausforderung entschieden. Eine Herausforderung, die wir gemeinsam als Team bewältigen werden.