Letzte Male

Schiff: Regina Maris
Datum: 22. März 2025
Position: Horta, Azoren
Geographische Position: 38°31.946‘N 028°37.494‘W
Etmal: 0nm
Total: 10966nm

(Hinweis: Bei diesem Tagesbericht handelt es sich um eine Art Poetry-Slam, der erst seine volle Wirkung entfaltet, wenn man ihn richtig betont vorliest. Damit euch das zuhause möglich ist, sind die zu betonenden/sich reimenden Wörter extra markiert.)

Eine ganze Weile sind wir nun schon unterwegs

154 Tage schon, unbeschwert und frei.

Und ein halbes Jahr, das geht doch nie vorbei,

heißt es stets.

Und doch sitzen wir hier und haben noch weniger als vier Wochen,

in denen wir hier hocken, füreinander kochen, ab und zu Dinge verbocken und doch versuchen, jeden einzelnen Tag zu rocken,

einfach weil wir wissen, es gibt nicht mehr so viele.

Und einfach weil wir wissen, wir werden es hinterher krass vermissen,

jeden Tag wieder, das Segelhissen, Main, Schooner, Jibs und Mizzen

Wie alle sich im Unterricht zusammenrissen,

weil man schon wieder nur fünf Stunden geschlafen hat.

Und plötzlich reden wir über letzte Male,

was wir eigentlich nie geplant hatten.

Man rechnet ja nicht damit, dass diese unendlich scheinende Zeit jemals verstreicht,

weil unendlich doch eigentlich reicht.

Doch jetzt verstehen wir, dass unendlich nur unendlich scheint,

weil unendlich hier doch nur ein halbes Jahr meint.

Und plötzlich reden wir über letzte Male.

Letzte Wale, die wir sehen,

letzte Mahle, die die Galley schon wieder zu spät vorbereitet,

letzte Wechsel in der Crew, die uns nach Hause begleitet.

Wenn wir langsam nach Hause gleiten,

uns Winde nach Hause leiten,

blicken wir letzte Male in die unendlichen Weiten

und beschreiten langsam diesen weiten

Weg nach Hause – es sind einmalige Zeiten.

Und plötzlich reden wir über letzte Male.

Der letzte Stopp auf den Azoren

Das letzte Mal Schwitzen, es wird wieder gefroren

Und wir fühlen uns jedes Mal wie neu geboren

Wenn wir jetzt duschen, weil es nicht mehr schwankt,

obwohl auch das etwas ist, was man irgendwann „tankt“

und nein, ich würde nicht sagen, dass es mittlerweile langt.

Das hier ist jetzt unser Leben:

Festklammern an allen Streben, damit man nicht umfällt,

alles nur noch festkleben, damit es nicht herunterfällt.

Und laut singen zu „Herzbeben“, weil das Malte so gefällt.

Wir sind in unserer eigenen Welt.

Und eigentlich wollten wir um kein Geld in der Welt zurück in unser altes Leben, 

wenn alles wieder zurückfällt

an seinen angestammten Platz, der vielleicht gar nicht mehr richtig ist.

Natürlich haben wir zuhause auch vermisst!

Es ist schließlich zuhause!

Da kann man auch mal Pause

Machen und da ist alles, was man kennt

Und was man sein Eigen nennt.

Doch das, wofür man brennt?

Das ist jetzt auch hier und das wird hier bleiben.

Auf diesem Schiff, in all dem bunten Treiben,

während wir über die Wellen treiben

und Tag für Tag fleißig Tagebuch schreiben,

um diese Zeit niemals zu vergessen.

Deshalb sind wir so versessen

Auf jeden einzelnen Moment

Eigentlich kann man gar nicht messen

Wie groß hier unser Glück ist, wenn man es nicht kennt

Und auch uns wird es voll und ganz erst danach aufgehen

Wo wir Tag für Tag hier aufstehen

Was wir alles sehen

Wie verrückt das alles ist

Und plötzlich reden wir über letzte Male.

Und plötzlich sind sie da, die letzten Tage.

Und da ist sie, diese eine Frage:

Was bleibt, wenn das hier vorbei ist?

Wenn man sich nicht mehr sieht, sondern nur noch vermisst?

Wenn man nicht mehr jeden Tag Segel hisst,

nicht mehr Seite an Seite das Gleiche isst?

Vieles geht vorbei, doch ich hoffe, manches bleibt,

was uns noch länger durch die Köpfe treibt.

Es sind Geschichten, die man schreibt:

Geschichten von Anfängen und Geschichten von Enden,

Geschichten von Urwäldern und so vielen Stränden,

Geschichten von Seekrankheit und Euphorie,

und ich weiß, diese Geschichten vergessen wir nie.

Es sind Erinnerungen, die bleiben.

Plötzlich reden wir also über letzte Male.

Dann ist die letzte Nachtschicht, in der man Schlaf vergisst,

das letzte Lieblingsgericht, das man hier nochmal isst,

die letzte Staubschicht, die nach dem Deep Clean noch übrig wäre

Und das hier mein letzter Tagesbericht

Danke fürs Lesen – es war mir eine Ehre.

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