Ocean College

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Nachtwache

Datum: 03. Februar 2020
Autor*in: Florett
Position: verzweifelter Versuch, nach Kuba zu gelangen
Nautische Position: 12° 27.3N / 80°46.9W
Etmal: 63 nm

für die Nachtwache geweckt werden

Es ist 23:34 Uhr. Jemand rüttelt sanft an deiner Schulter und flüstert deinen Namen. Es ist soweit. Zeit aufzustehen.

„Bist du wach?“ fragt die schemenhafte Gestalt, die vor deinem Bett steht. „Mhh, ja“ murmelst du und setzt dich langsam hin, um nicht auf der Stelle wieder einzuschlafen, denn du bist todmüde.

Sobald du in der Dunkelheit der Cabin stehst, wirst du dir wieder der Schräglage bewusst. Das Schiff schwankt hin und her und die Übelkeit, die dich seit den letzten Tagen verfolgt, kehrt zurück.

Nur wenn du schläfst, hast du deine Ruhe vor ihr.

Aber jetzt musst du erst einmal zur Wache, also spritzt du dir kurz etwas Wasser ins Gesicht, ziehst dir einen Pulli über deinen Schlafanzug und greifst Harness und Wasserflasche. Im Dämmerlicht der ansonsten menschenleeren Messe wartet schon der Rest deiner Wache.

Segelschiff in der Nacht

Das Nachtmahl

Auf dem Tisch steht eine Dose mit der Aufschrift „White-Watch“. Zu ihrem Inhalt zählen belegte Brote, die das Gallyteam netterweise für euch vorbereitet hat.

Du isst ein halbes, hörst dann aber auf, weil deine Seekrankheit wieder doller wird. Dein Bauch tut ein bisschen weh und dein Kopf drückt unangenehm, als würde er irgendwann einfach zerbersten. Du blickst in die Runde und in diesem Moment siehst du nur einen Haufen müder Gesichter.

Sie alle sitzen da, ohne viele Worte zu wechseln und warten, dass es Zeit wird hoch zur Brücke zu gehen. Gemeinsam wuchtet ihr die schwere Metalltür auf.

Auf zur Wache

Eine nach der anderen geht ihr nach draußen, die Treppe hoch in Richtung Wheelhouse. Die Nacht ist sternenklar. Du kannst den Großen Wagen sehen und Orion, der mit seinem Bogen irgendwo ins Universum zielt.

Unter Deck war es so heiß, dass es kaum auszuhalten war. Draußen hingegen ist es sehr viel angenehmer. Die Luft ist abgekühlt und hat doch immer noch eine angenehme Temperatur. Der warme Wind fühlt sich ganz weich auf der Haut an.

Am Wheelhouse angekommen wartet die Red-Watch auf euch. Ihren Gesichtern ist die Erleichterung anzusehen. Für sie ist die rettende Ablösung nun gekommen.

Das ersehnte Ende; die Vorfreude auf die noch kommenden Stunden Schlaf. Für dich hat es gerade erst begonnen.

Ozean in der Nacht

Die Nachtwache beginnt

Das Handover ist gemacht, alle wichtigen Informationen weitergegeben und nun ist es wieder still auf der Brücke. Du klammerst dich ans Steuerrad, den Blick auf dem Kompass verharrend.

Es fällt dir nicht ganz leicht, den Kurs zu halten, aber du versuchst immer wieder, dir deiner Verantwortung bewusst zu werden. Immerhin steuerst du unser Schiff – das von Wasser umgebene Zuhause von 42 Menschen, die irgendwie wie eine Familie sind.

Lookout

Die erste halbe Stunde ist geschafft. Rotation Time. Du bist Portside Lookout.

Auf dem Radar wird dir angezeigt, dass irgendwo um euch herum ein anderes Schiff ist. Aber es ist zu weit weg, als das du sein Licht in der Dunkelheit sehen könntest.

Der Horizont ist nur eine Linie in der Ferne, die das Schwarz des Meeres vom dunklen Blau des Nachthimmels trennt.

Über dieser Linie scheint der sichelförmige Mond zu schweben. Sein Licht erhellt die Wellen, die fast von vorne kommen und locker zwei Meter hoch sind.

Wenn du nach vorne schaust, siehst du die Schaumkronen, die links und rechts am Bug hinauf spritzen, während dieser immer wieder in die Wellen stampft und du leicht nach vorne geworfen wirst.

Nun wandert dein Blick nach hinten. Wenige Meter unter dir, am Heck der Pelican, siehst du kleine, glitzernde Punkte. Es sind wunderschöne, bioluminiszens-betreibende Mikroorganismen.

Das hast du im Biologieunterricht gelernt. Doch so wunderschön sie auch sind, du musst deinem Job nachgehen und so ruht dein Blick wieder auf dem Horizont.

Sternenhimmel in der Nacht

Nachtwache – Routine

Ihr rotiert wieder, wieder und wieder.

Jemand sprüht dir Wasser ins Gesicht und bewahrt dich so vorm Einschlafen. (Das vor kurzem neu eingeführte „Happy Spray“ hat mehrere Anwendungsgebiete: Nachts hilft es beim Wachbleiben und tagsüber dient es der Abkühlung.)

Irgendwann macht ihr eine kleine Unterrichtsstunde über Lichterführung. Danach ist es wieder still und nur noch das Rauschen der Wellen und das Wehen des Windes ist zu hören.

Jemand beginnt ein Lied vor sich hin zu summen. Durch den Wind wird es zu dir herüber getragen.

Die letzte Rotation steht an. 03:30 Uhr – nur noch eine halbe Stunde. Die nächste Wache muss gleich geweckt werden. Das schaffst du noch, sagst du dir. 30 Minuten sind nicht lange.

Segelschiff Pelican in der Nacht

Das Ende der Nachtwache

Jetzt ist es zehn vor vier. Die Blue-Watch, deine rettende Ablösung, ist gerade gekommen. Nun sind sie es, die in eure müden Gesichter blicken, in denen sich sowohl Erschöpfung als auch Erleichterung spiegeln.

Von jetzt an geht alles recht schnell.

Das Handover ist gemacht, du wünscht noch eine gute Watch und so schnell es geht bist du wieder in deiner Cabin, streifst die Schuhe von den schmerzenden Füßen, fällst in dein Bett und deine Augen zu.

Nun kriegst du deinen lang ersehnten Schlaf, bis du um zehn Uhr wieder geweckt wirst und dein Tag ein zweites Mal (sehr viel wacher) beginnt.

PS: Liebe Grüße an Alex, Uli und Henri. Ich vermisse euch ein bisschen.

Und auch an Tilly, weil du mich auf die verrückte und zugleich geniale Idee gebracht hast ein halbes Jahr auf einem Segelschiff zu verbringen.

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