Datum: 09.02.2021
Autorin: Malina
Position: Freeport, Bahamas
Nautische Position: 26° 22,9´N 078°56,3´W
Etmal: 174 NM (9647 NM insgesamt)
Neue Aufgabenverteilung
Gestern hatte ich nach ziemlich genau zwei Monaten endlich wieder meine Lieblingswache von Mitternacht bis vier Uhr morgens. Tausende Sterne, Sternschnuppen, nette Musik im Hintergrund, ruhiges Meer, interessante Gespräche …
Damit alle weiterhin neue Erfahrungen sammeln, haben wir vor ein paar Tagen damit angefangen, dass in jeder Wache ein anderer Schüler oder eine andere Schülerin die Watchleader-Rolle einnimmt. Wir eigentlichen Watchleader lernen als „Officer under study“ immer mehr und bekommen mehr Verantwortung in der Wache.
Außerdem helfen wir, je nachdem welche Wache wir haben, auch außerhalb der acht Stunden Wache am Tag dem Captain, der first oder second Mate. Ich lerne daher diese Woche noch genauer, was Anouschs Aufgaben als second Mate sind.
Kurzer Zwischenhalt auf den Bahamas – Änderung des Passage Plans
Im täglichen Meeting um 13:00 mit allen auf dem Welldeck wurde verkündet, dass wir einen kurzen Tankstop in Freeport in den Bahamas einlegen – ohne Landgang und wahrscheinlich auch nur für ein paar Stunden, da wir sonst in Bermuda für den Landgang Probleme bekommen würden.
Wegen dieser Planänderung musste der Passage Plan aktualisiert werden. Passage Planning ist eine der Aufgaben der second Mate. Es besteht aus vier Schritten, dem groben Plan (Assumption), der genauen Planung der Strecke (Planning), der Durchführung (Execution) und dem Überwachen (Monitoring).
Das Planning besteht aus zwei Teilen. Der erste Part ist der Papierkram: Aus verschiedenen Büchern und Programmen auf dem Computer werden die benötigten Seekarten, die Gezeiten, Pilot-Regulations, Radio-Frequenzen und andere wichtige Informationen über den Ankunftshafen herausgesucht und in einem Dokument zusammengefasst. Beim zweiten Teil geht es um das Planen der wirklichen Route auf der Karte. Während meiner Wache am Nachmittag habe ich die Route von unserer Position zu dieser Zeit bis Freeport auf die Karte gezeichnet. Unser Captain hatte dafür bereits Waypoints festgelegt.

Das sind die Punkte, an denen sich der Kurs ändert. Ich habe also die Waypoints auf die verschiedenen Karten geplottet, verbunden und dann ausgemessen, welchen Kurs wir auf dieser Strecke fahren müssen. Je näher man an Land ist, desto größer ist die Skala der Karte. Das bedeutet, dass die Karte detailierter ist. Ein einzelner Waypoint kann sich daher auf mehreren Karten befinden. Natürlich stimmte mit genau dem Waypoint, der gefühlt auf jeder Karte war, etwas nicht. Daher musste ich ihn überall neu plotten. Als ich damit fertig war, hat Anousch alles kontrrolliert und mit dem verglichen, was ein Computerprogramm berechnet hat. Es war alles „goed“, wie Anousch gerne sagt.
Doch natürlich brauchten wir auch einen neuen Passage Plan für die Strecke nach Bermuda, da unser Startpunkt jetzt woanders ist. Außerdem fahren wir etwas anders als ursprünglich geplant.
Das Erstellen des neuen Passage Plans war meine Aufgabe für den späten Nachmittag. Anousch und Ben haben mir gesagt, wo wir zwischen den Inseln herfahren wollen und worauf ich achten muss.
Beispielsweise soll die Route mittig zwischen den Inseln und immer mindestens fünf Seemeilen vom Land und Sandbänken entfernt sein. Ich habe dann alle Karten, die ich brauchte, aus dem Wheelhouse geholt, mich an den Schreibtisch im Saloon gesetzt und angefangen zu arbeiten: Sinnvollen Waypoint auf der Karte plotten, Koordinaten aufschreiben, nächsten Waypoint plotten, beide verbinden und den Kurs dieser Strecke mithilfe eines Parallel-rulers und dem Kompass auf der Karte herausfinden. Immer wieder musste ich die Karte wechseln.

Dann habe ich auf der alten Karte ein Zeichen gemacht, wann man auf welche neue Karte wechseln muss. Die komplette Strecke von Freeport in den Bahamas bis nach Bermuda ist 955 Seemeilen lang, besteht aus zwölf Waypoints und befindet sich auf neun Karten. Ihr könnt alle einmal schätzen, wie viele Karten wir insgesamt hier auf der Pelican haben. In einem der nächsten Tagesberichte werdet ihr die Lösung erhalten.
Anousch hat sich nebenbei um den ganzen Papierkram gekümmert.
Als ich fertig war, haben wir die Koordinaten der Waypoints in den Computer eingetippt und alles überprüft. Sie war zufrieden. Jetzt müssen wir nur noch hoffen, dass es Ben auch ist.
Die nächste Wache
Heute Nacht, oder gestern, je nachdem wann für einen der neue Tag beginnt, hatte ich erneut Wache von Mitternacht bis vier Uhr. In dieser Wache war ich wieder quasi Officer. Da hier auch recht viele andere Schiffe unterwegs sind, musste ich besonders auf diese achten. Mit dem Radar kann man den CPA (geringsten Abstand zum anderen Schiff) und die TCPA (in wie vielen Minuten der CPA ist) herausfinden.
Dabei sollte der CPA nicht unter einer Seemeile liegen. Wenn dies doch der Fall ist, muss man, je nachdem, ob man Vorfahrt hat oder nicht, seinen Kurs ändern, um eine Kollision zu verhindern. Die Vorfahrt hängt von der Art des Schiffes (unter Segeln, unter Motor, Fischerboot) ab und davon, aus welcher Richtung das andere Schiff kommt. All das steht in den IRPCS (international regulations for the prevention of collisions at sea) von denen ich heute Nacht auch schon die ersten gelernt habe.
Nebenbei haben wir den wunderbaren Sternenhimmel und den Lichtschein von Miami genossen. Seit einigen Tagen dürfen wir auch wieder im Hintergrund Musik hören während der Wache. Jedoch hatte meine Wache irgendwie die ersten drei Stunden nicht so Lust darauf und hat lieber die Ruhe genossen.

Das war etwas seltsam, denn eigentlich haben alle immer wieder gefragt, wann wir denn endlich wieder Musik hören können. Wir sind halt einfach schon richtige Seefahrer:innen und wollen immer das, was wir nicht haben können und wenn wir es dann haben, wollen wir es nicht mehr.
Am Ende der Wache habe ich auch das Handover gemacht. Dabei sagen wir dem nächsten Officer alles, was gerade wichtig ist. Dazu gehört der Kurs, den wir gerade fahren, die Wind- und Wettersituation, andere Schiffe um uns herum, gesetzte Segel, RpM (rounds per minute) der Engine, wenn sie läuft und wo wir gerade sind.
Ende der Wache
Natürlich gab es auch noch ein Geburtstagsständchen für Clara, als sie um 04:00 zu ihrer Wache kam. Bevor wir ins Bett gegangen sind, habe ich Anousch noch bei ihrer Round begleitet, die sie nach jeder Wache machen muss. Zuerst haben wir auf dem Foredeck gecheckt, ob bei den Segeln und beim Anker alles so ist, wie es sein sollte.
Anschließend sind wir einmal durchs ganze Schiff gegangen. Dabei schauten wir, dass es nirgendwo krümelig ist. Außerdem haben wir im Engineroom nachgesehen, ob dort alles normal ist, nirgendwo Rauch oder Feuer ist und alle Türen und Hatches zu sind, die zu sein sollen. Da alles in Ordnung war, konnten wir schlafen gehen.
Der nächste Morgen
Als ich am nächsten Morgen um 12:30 Uhr meine Wache begann, waren wir schon fast im Hafen. In den 1,5 Stunden bis wir angekommen sind, habe ich gefühlte 20 Mal unsere Position auf der Karte geplottet (in Wahrheit waren es sieben oder acht Mal). Ich hatte auch gehofft, dass ich vielleicht die Heaving-line werfen darf.
Das ist ein dünneres Seil mit einer Monkey Fist am Ende, die man den Linesman an Land zuwirft. Mit der Heavingline ziehen die Linesman anschließend an den dicken Mooringlines, mit denen das Schiff dann fest gemacht wird. Da ich aber erst zwei Mal zur Probe eine Heavingline in La Palma geworfen habe, und das schon fast drei Monate her ist, war ich mir nicht zu 100% sicher, dass ich weit genug werfe. Hoffentlich darf ich das beim nächsten Mal machen.
„Monkey Fist“-Knoten
Als alle Mooringlines fest waren, wurde verkündet, dass wir doch über Nacht bleiben. Es gibt wohl ein Problem mit dem Tankwagen. Vielleicht hatte er nicht mehr genug Diesel zum Fahren.
Jedoch sind die Stores (Essens-Vorräte) angekommen. Um diese vom LKW an Board zu bekommen, bin ich sogar an Land gegangen. Ich kann also jetzt sagen, dass ich die Bahamas betreten habe, yeah!
Da ich wusste, dass ich heute Nacht nicht vier Stunden Wache habe, konnte ich etwas länger wach bleiben. Ich habe nach etwa einer Woche endlich wieder einmal etwas Gitarre gespielt. Außerdem haben wir draußen Karten gespielt. Das war sehr schön. Ich war manchmal sehr gut und manchmal sehr schlecht. Irgendwann sind wir auch etwas albern geworden, haben nur noch singend kommuniziert und darüber diskutiert, ob Toast richtiges Brot ist oder halt einfach Toast. Für die Briten ist Toast normales Brot und wird erst im Toaster zu Toast. Ja, nach müde kommt blöd.
Irgendwann bin ich dann auch ins Bett gegangen, hab noch etwas Tagebuch geschrieben, gelesen und dann geschlafen.
PS: Liebe Grüße an alle Zuhause. Mir geht es immer noch super gut, ich genieße fast jede Sekunde und will gar nicht, dass diese Reise schon in zwei Monaten vorbei ist. Genießt den Schnee für mich mit!