Treppen, Türen – transatlantische Probleme

Schiff: Regina Maris
Datum: 11. Dezember 2024
Position: Atlantik
Geographische Position: 17°08.901N 040°45.323W
Etmal: 3928nm
Total: 189nm

Unser Leben zurzeit sieht wirklich sehr anders aus als der Alltag der Allermeisten zuhause. Das ist auch irgendwie logisch, oder? Schließlich wohnen wir im Moment auf einem Segelschiff und befinden uns irgendwo in der Mitte des Atlantiks!

Bald zwei Monate sind wir jetzt schon unterwegs und die Zeit schien gleichzeitig sehr schnell und sehr langsam zu vergehen… Wenn jeden Tag so Vieles passiert (und glaubt mir: Kein Tag ist wie der andere), können einem auch fast zwei Monate wie eine sehr kurze Zeit vorkommen.

Hin und wieder merken wir dann aber doch, wie lange wir wirklich schon unterwegs sind. Denn nach einiger Zeit auf einem sich ständig bewegenden Segelschiff mit immer den gleichen Leuten entstehen ein paar Angewohnheiten, die wir vermutlich nicht mehr so schnell wieder loswerden…

Es fängt schon an, wenn wir uns morgens anziehen. Wer Nachtwache hat und die Anderen nicht stören will, macht erst gar nicht das Licht an. Ein blinder Griff ins Regal, die Kiste oder ans Fußende des Bettes genügt völlig. Wie die Dinge aussehen, die man dann anzieht? Völlig egal.

Wenn wir hier eines lernen, dann, dass man dieselbe Kleidung auch deutlich (!) länger als nur einen Tag tragen kann. Meistens bleibt uns auch gar nicht anderes übrig, wenn wir die begrenzte Menge an Kleidung, die wir mitgebracht haben, nur einmal die Woche waschen können.

Nach ein paar Tagen entsteht zwar eine interessante Mischung aus Flecken (meist eine Mischung aus Engine-Room-Schmutz, Essensresten und irgendetwas Undefinierbarem dazwischen), aber das stört dann auch niemanden mehr – was das angeht, sitzen wir alle wortwörtlich im selben Boot.

Will man nach dem Anziehen dann zur Watch oder zum Frühstück nach oben, stehen die nächsten Herausforderungen an: Die Treppen. Dunkel können auch wir uns noch an eine Zeit erinnern, in der wir sorglos Treppen rauf und runter gerannt sind.

Für die nächsten vier Monate bleibt das keine gute Idee. Unsere Treppen hier sind recht steil, dazu bewegt sich das Schiff noch. Wer keine Lust hat, die gesamte Treppe hinunterzufallen (was schon mehrmals passiert und echt nicht angenehm ist), tut gut daran, Treppen immer seitlich oder rückwärts zu gehen und sich gut festzuhalten.

Dass man Treppen auch an Land auch anders hinuntergehen kann, haben wir fast schon vergessen. Als im Film beim Filmabend neulich der Protagonist eine Treppe hinunterrannte, waren wir doch einen Moment ernsthaft irritiert.

Der Grundsatz „Eine Hand für mich, eine Hand fürs Schiff“ hat sich dauerhaft in unser Gehirn eingebrannt. Es wird also vermutlich auch nach unserer Rückkehr an Land eine Weile dauern, bis wir uns beim Treppensteigen nicht mehr krampfhaft am Geländer festhalten…

Ich habe im Übrigen keine Ahnung mehr, was an Land die größten Gefahren sind. Vielleicht der Straßenverkehr? Krankheiten? Hier bei uns an Bord ist diese Fragen deutlich leichter zu beantworten. Neben den Treppen unsere größte Gefahrenquelle sind: Türen!

Ja, richtig gehört! Die eigentlich so harmlos erscheinenden Teile der Wand, die man öffnen und schließen kann, um Räume voneinander zu trennen, haben durchaus Gefahrenpotenzial. Wem das komisch erscheint, der muss sich wieder an den Seegang erinnern, dem wir hier auf dem Ozean ausgesetzt sind.

Türen können plötzlich hin- und herschwingen oder zuschlagen, wenn man nicht richtig aufpasst. Dass es dann nicht so cool ist, wenn die Finger dazwischen kommen, mussten leider schon einige am eigenen Leib erfahren.

Deshalb gilt jetzt noch größere Vorsicht mit Türen. Hin und wieder erinnern wir uns an früher zurück, wenn wir zuhause Türen zugeschmissen oder geknallt haben. Aber das wird jetzt nicht mehr so schnell passieren. Eine sichere Tür ist für uns im Moment nur eine, von der man die Türklinke so lange in der Hand behält, bis sie wieder geschlossen ist…

Irgendwann hat man es dann vielleicht geschafft, an Treppen und Türen vorbei, ohne sich zu verletzen und in den Messroom zum Essen. Für alle, die Geschwister haben, ist der Zustand hier vermutlich gar nicht so fremd, aber trotzdem unbekannt in den Ausmaßen. Jeden Tag beginnt er von Neuem: Der Kampf ums Essen.

Eigentlich müsste man sich gar keine Sorgen machen – theoretisch ist genug Essen für alle da. Trotzdem haben die Allermeisten ein sehr großes Interesse daran, bei der Essensausgabe weit vorne zu stehen. Während der ersten Wochen hat das dazu geführt, dass die Essensschlange durch den gesamten Messroom führte und überhaupt kein Durchkommen war.

Mittlerweile haben wir eine neue Regelung und die Tische dürfen sich nacheinander anstellen. Daran, dass der Durchgang im Messroom komplett versperrt ist, ändert das meistens aber trotzdem nichts.

Wenn man erstmal sein Essen hat, muss man eigentlich seine gesamte Konzentration darauf verwenden, dass man sein Essen auch behält. Lose Essensbestandteile auf dem Teller machen bei Wellengang gerne mal den Abflug. Und das Besteck erst recht. „Den Löffel abgeben“ hat bei uns schon eine ganz eigene Bedeutung bekommen.

Also versuchen wir bei jeder Mahlzeit wieder, sowohl unser Besteck als auch unseren Teller festzuhalten und wünschen uns ein Paar zusätzliche Hände. „Entspanntes Essen“ ist zu einem ziemlich fremden Konzept geworden…

Natürlich gibt es jeden Tag auch einige Meetings (bevorzugt nach dem Essen). Diese Meetings werden angekündigt, indem die Schiffsglocke geläutet wird. Dann versammeln sich alle auf den Bänken auf dem Main Deck. Sind endlich alle da, aber immer noch zu laut, dann kommt der wohlbekannte Klatschrhythmus von Lisa: Sie klatscht vor, wir klatschen nach und danach soll es dann still sein.

Nach fast zwei Monaten auf diesem Schiff sind wir ziemlich konditioniert, was diese beiden Signale angeht. Wann immer jemand klatscht (und es muss nicht mal Lisa sein!), klatscht irgendwer automatisch nach. Und die Glocke… Naja, vermutlich ist es ein Wunder, dass noch niemand so richtig die Treppe runtergeknallt ist, weil er die Glocke gehört hat und schnell zum Meeting wollte – ihr erinnert euch.

Ich bin gespannt, wie wir damit umgehen werden, wenn wir zurück an Land sind und so eine Glocke hören. Macht euch auf einen Haufen Jugendlicher gefasst, die völlig verwirrt nach ihrem Meeting suchen…

Und dann, wenn wieder ein ereignisreicher Tag vorbei ist, bleibt eigentlich nur noch eine Frage: In welche Richtung lege ich mich heute schlafen?

Diese Frage, die zuhause wohl kaum Bedeutung hat, kann hier darüber entscheiden, ob man gut oder schlecht schläft. Bei Schieflage mit dem Kopf nach unten zu liegen, sodass das Blut in den Kopf fließt, ist nämlich nicht so angenehm…

An manchen Tagen haben wir Glück und die Wellen schaukeln uns angenehm in den Schlaf. An anderen Tagen fahren wir nachts eine Halse und das Schiff neigt sich plötzlich zur anderen Seite. Aber für so was gibt es schließlich das Konzept vom Mittagsschlaf…

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