Datum: 23.03.2022
Autorin: Alina
Position: Zwischen den Azoren und Dartmouth
Geografische Position: 4648.9‘ N 01423.8‘ W
Etmal: 153 nm (total: 13785 nm)
In weniger als zwei Wochen werden wir zu Hause ankommen. Da dies mein letzter Tagesbericht ist, will ich ihn nutzen, um meine Gedanken zum Thema Veränderungen aufzuschreiben. Vieles hat sich in den ersten Tagen und Wochen von Ocean College schon verändert, andere Veränderungen haben etwas mehr Zeit gebraucht und manche kommen vielleicht noch auf uns zu…
Zuhause
Die grösste Veränderung war am Anfang definitiv unser Zuhause. Normalerweise wohnen wir alle an Land in einem Haus oder einer Wohnung mit unserer Familie. Aber auch die Pelican ist mittlerweile unser Zuhause. Sie schwimmt, ist jeden Tag an einem anderen Ort und bewegt sich ständig. Es ist nie leise, man hört immer das Wasser am Bug vorbeirauschen, Leute lachen oder Musik aus der Galley. Ich denke, wir alle hatten etwas Anfangsschwierigkeiten mit dem Leben auf einem Schiff. Wir wussten nicht, wie all das Segeln funktioniert, in der ersten Nacht auf dem Nordatlantik waren fast alle seekrank und es war ungewohnt, so weit weg von „Zuhause“ zu sein und nur wenig Kontakt zu den Menschen Zuhause zu haben. Man lebt bis zu einem gewissen Grad in einer Blase, es kommen selten andere Leute dazu, das Essen wird alle paar Wochen geliefert und ohne Internet kriegen wir allgemein nicht so viel von der Aussenwelt mit. Mittlerweile ist die Pelican aber unser aller Zuhause geworden, wir kennen die besten Zeiten, um im Messroom rumzuhängen, wenn man Teig aus der Galley schnabulieren will, unsere Betten haben wir auch lieben gelernt und wir wissen wann und wie wir am besten schlafen können bei 30 Grad Schräglage und welchen Zeitpunkt der Welle man abwarten muss, um die Watertightdoor zu öffnen.
Freunde&Familie
Wir alle haben hier neue Freunde gefunden, die mittlerweile unsere Familie sind. Zuhause hat man seine eigene Familie und seine eigenen Freunde, von denen man jetzt ein halbes Jahr getrennt war. Damals sind wir alle auf eine Schiff mit 46 unbekannten Gesichtern und mussten uns zuerst einfinden, die Menschen kennenlernen und Freunde finden. Ich würde sagen, dass die Freundschaften hier etwas ganz Spezielles sind. Man weiss vieles nicht über Leute, dass man Zuhause wissen würde. Ich habe keine Ahnung, wie das Haus oder die Heimatstadt der meisten auf dem Schiff aussieht, ich kenne ihre Familien nicht oder weiss nicht, was ihre Hobbies sind. Dafür weiss ich, wie sie um 03:30 nachts aussehen, wenn sie gerade geweckt wurden, ich weiss, wie sie sich in Stresssituationen verhalten und ich weiss, mit wem man die besten Gespräche haben kann. Ein anderer aussergewöhnlicher Aspekt dieser Schiffsfreundschaften ist, dass unsere Eltern nicht hier sind, um hinter uns herzuräumen, uns zu pflegen wenn wir krank sind oder uns Rat zu geben, wenn wir nicht mehr weiter wissen. All diese Rollen übernehmen wir füreinander und sind so zu einer Familie geworden, in der wir uns alle umeinander sorgen und uns viel besser kennen nach sechs Monaten als andere Menschen nach vielen Jahren.
Lernen
Ich habe viel gelernt, sowohl was Segeln angeht aber auch über Menschen und mich selbst. Am Anfang hatte ich keine Ahnung vom Segeln und fühlte mich etwas verloren mit all den Seilen und Segeln. Unsere erste Bosun Elie hat uns aber alles richtig gut beigebracht und ich fühlte mich schnell sicherer im Sailhandling. Auch auf der Bridge haben wir nach und nach zu Helm und Lookout auch Metobs, Logbook und vieles mehr gelernt. Neben all dem habe ich im Zusmmenleben mit so vielen Menschen viel über sie gelernt. Ich habe gelernt, wer öfters mal Zeit für sich braucht, wen man manchmal etwas zurückhalten muss, weil sich die Person zu viel vornimmt und wen man manchmal ein wenig motivieren muss, um Aufgaben zu erledigen. Am meisten habe ich aber über mich selbst gelernt. Ich habe mich in Situationen kennengelernt, die ich zu Hause noch nie erlebt habe. Egal ob beim Callen vom Segelsetzen, in einer stürmischen Nacht auf Watch oder in Costa Rica im Regenwald. Ich habe neue Seiten von mir kennengelernt, habe mehr Selbstvertrauen entwickelt und mir ist klar geworden, dass ich definitiv weiter mit Meschen arbeiten will. Meine Zeit auf Deck mit den Bosuns hat mir auch Spaß gemacht, ich habe viele Seamanship Skills erlent und mich manchmal beim Malen, Schmirgeln und Ölen wir mein Bruder gefühlt. Ich habe gemerkt, dass ich viele Menschen um mich herum brauche, um glücklich zu sein. Das hat mir für meine Zukunft geholfen, denn jetzt bin ich mir sicher bei der Studienwahl im sozialen Bereich.

Glücklich sein
Was sich für mich wahrscheinlich am meisten verändert hat, ist glücklich zu sein. Ich war schon immer ein von Grund aus zufriedener Mensch, habe mich nie schnell an etwas genervt und an vielem Gefallen gefunden. Das ist auf der Reise aber nochmal stärker geworden, ich habe eine Art innere Ruhe gefunden, eine Zufriedenheit, die in mir drin ist und mich von innen aus entspannt. Ich brauche nicht mehr viel um glücklich zu sein, gutes Essen, Freunde und ein Bett zum Schlafen reicht mir eigentlich aus, den Rest lasse ich auf mich zukommen. Ich lebe einfach im Moment, mache mir wenig Gedanken über den nächsten Tag oder die nächsten Wochen und Monate, sondern lasse es einfach auf mich zukommen und glaube daran, dass alles gut wird.
Ja, wie man sieht, hat sich in den letzten sechs Monaten viel verändert. Die 46 Menschen auf dem Schiff sind keine Fremden mehr, sondern Familie geworden. Die Pelican ist kein rostiges Segelboot mehr, sondern unser Zuhause, das wir mit allen gerissenen Segeln und Beulen lieben und das uns sicher über mehr als 14.000 Seemeilen in verschiedene Länder getragen hat. Unsere Persönlichkeiten haben sich gefestigt und wir haben neue Seiten von uns kennen gelernt. Ich denke, wir alle sind ein bisschen selbstbewusster und toleranter anderen gegenüber geworden. Manche Veränderungen werden wir erst in 1.5 Wochen bemerken, wenn wir Zuhasue sind und in unser altes Umfeld zurück kommen. Das wird bestimmt nochmal spannend, bis dahin geniessen wir die Zeit zusammen nochmal und versuchen, nicht an die bevorstehende Packschlacht zu denken.
Grüsse:
Ich grüsse Nico, Mami und Papi, Mamama und Papapa und all meine anderen Freunde. Vielen Dank, dass ihr mir diese Reise ermöglicht habt, es war eine unglaublich schöne Zeit, an die ich immer gerne zurückdenken werde. Ich freue mich aber auch darauf, euch alle wieder zu sehen. Wir haben übrigens einen Schweizer Galleytag gemacht mit Zopf zum Frühstück, das hat richtig nach Zuhause geschmeckt:) -Liebe Grüsse, Alina
Ich (Julian) grüße meine Familie und vor allem meine Großeltern. Freue mich schon, euch wieder zusehen 🙂
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