Datum: 05.12.2020
Autorin: Malina
Position: Irgendwo auf dem Atlantik
Nautische Position: 18°05,1´N 049°08,2´W
Etmal: 152 NM (5168 NM insgesamt)

Vor 17 Tagen, am 19.11.2020 haben wir unsere Atlantiküberquerung gestartet. Gestern Nachmittag mussten wir dann leider die Squaresails einholen und den Motor starten, da wir gerade quasi keinen Wind haben. Aber wir haben uns 369 Stunden nur durch den Wind fortbewegt und sind in dieser Zeit 1873 nautische Meilen gesegelt. Das macht eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 5,076 Knoten.
Da wir jeden Sonntag die Wachzeiten tauschen, hatte ich schon alle drei Wachen während der Überquerung. Ich bin Watchleader und habe daher im Gegensatzt zu den Schüler:innen acht Stunden Wache am Tag. Das bedeutet, dass ich in der Wache am Vormittag immer eine andere Gruppe von Schüler:innen habe als am Nachmittag.

Meine Lieblingswache
Begonnen habe ich die Atlantiküberquerung mit der 0:00-4:00 Uhr Wache mit Anousch (2nd Mate) als Officer of Watch (OOW). „0:00-4:00 Uhr Wache, das ist doch schrecklich, da will ich schlafen!“, Ja, das dachte ich zuerst auch, aber da habe ich mich sehr getäuscht.
Mitten in der Nacht aufstehen, Sternenhimmel für vier Stunden, ganz viele Sternschnuppen, komplette Ruhe, weil alle anderen schlafen – das ist einfach toll.
Ich hab` schon echt viele Sternbilder gelernt und kann nicht mehr zählen, wie viele Sternschnuppen ich schon gesehen habe. Ich weiß auch mittlerweile echt nicht mehr, was ich mir bei den vielen Sternschnuppen noch wünschen soll.
Auch die Wache am Nachmittag mag ich sehr gerne. Die Sonne genießen, Wache in Top und kurzer Hose. Außerdem mag ich den Kontrast zwischen den beiden Wachen. Einmal richtig Tag und einmal richtig Nacht.
Während der Wache sind die Temperaturen auch einigermaßen konstant, so dass man nicht so viele Probleme mit der Klamottenwahl hat. Frühstück gibt es für die 0:00-4:00 Uhr Wache erst um 10:00 Uhr. Man kann also quasi ausschlafen.

An einigen Tagen bin ich wirklich richtig ausgeschlafen um 09:30 aufgewacht. Das ist echt cool, da man sonst nie wirklich ausschlafen kann.
Die Stimmung ist sowohl am Tag als auch in der Nacht meistens super. Wir haben viele Shantys gesungen, uns gegenseitig Zungenbrecher auf Deutsch, Flämisch und Englisch beigebracht und viel gelacht.
Wenn es in der Nacht dann doch mal sehr ruhig wird, hört man meistens irgendwann von Anousch: „Tell me something about you, I don`t know yet.“
Dadurch starteten viele gute Gespräche und wir haben uns alle noch ein bisschen besser kennengelernt. Außerdem erklärt Anousch in jeder Wache allen etwas Neues, sodass man die Wache immer etwas schlauer beendet, als man sie angefangen hat.
Sie hat mir auch gezeigt, was sie während der Wache alles macht und worauf sie achtet. Wir sind etwa einmal die Stunde übers Poopdeck gegangen und haben uns den Horizont und die Wolken angeschaut, ob sich dort etwas verändert hat.
Außerdem haben wir geschaut, dass die Segel nicht killen (flattern), kein Seil lose ist oder irgendwas auf dem Welldeck rumliegt. Dann haben wir noch kontrolliert, ob irgendetwas auf dem Radar zu sehen ist. Sie hat mir auch das offizielle Logbook gezeigt und wir haben das gemeinsam zu jeder vollen Stunde geführt.
Insgesamt ist diese Wache definitiv meine Lieblingswache.

Wache mit dem Captain
Da wir Mittwochs losgefahren sind, haben wir schon nach vier Tagen, am Sonntag, getauscht. Ich hatte als nächstes die Wache von 8:00 bis 12:00 Uhr mit unserem Captain, Chris. Am Anfang dachte ich, dass die Wache von 8:00 bis 12:00 Uhr am entspanntesten ist, da man zu relativ normalen Zeiten schläft.
Allerdings wird man schon um kurz vor sieben zum Frühstück geweckt, sodass man keine sieben Stunden am Stück schlafen kann. Außerdem versuche ich jeden Abend vor dem Schlafen noch Tagebuch zu schreiben.
Jedoch schläft um Mitternacht meistens schon jemand in meiner Cabin, weshalb ich nicht nochmal das Licht anmachen will. Die Stimmung auf der Wache ist jedoch echt gut. Wir singen viele Shanties und Chris erzählt oft etwas von seinen bisherigen Erfahrungen auf See. Ich habe alle sechs Strophen des Shanty „The last Shanty“ auswendig gelernt, den Anousch uns in der Woche zuvor gezeigt hatte.
Außerdem hat Chris mir noch gezeigt, wie man mithilfe des Standes der Sonne zu einem bestimmten Zeitpunkt die Abweichung des magnetischen Kompasses zur richtigen Himmelsrichtung berechnen kann. Denn durch das Metall auf der Pelican und aufgrund der Tatsache, dass der magnetische Nordpol nicht mit dem geographischen Nordpol übereinstimmt, hat der Kompass immer einen gewissen „Error“.

Ganz viel Verantwortung
Diese Woche hatte ich die Wache von 04:00 bis 08:00 Uhr mit Tamsin. Sie ist 1st Mate. In dieser Wache war ich auch auf dem Weg von London nach Emden. Da war ich noch seekrank, sehr müde und auch den anderen aus der Wache ging es nicht besser, deswegen mochte ich diese Uhrzeit am wenigsten.
Jedoch ist diese Wache für mich nun um einiges angenehmer, da es mir gut geht und ich zuvor schlafen kann. Für viele ist an dieser Wache das Beste, dass man sowohl Sonnenaufgang als auch Sonnenuntergang sehen kann, wenn das Wetter stimmt.
Ein Highlight für mich diese Woche war definitiv das Klettern auf die Yard vom Royal-Sail im Sonnenaufgang. Definitiv ein besseres Erlebnis, als sich in den Sonnenaufgang zu übergeben.

Generell geht die Wache schnell um, da wir währenddessen sowohl frühstücken als auch zu Abend essen. Außerdem werden in dieser Zeit morgens oft Segel gesetzt und abends reingeholt. Allerdings finde ich den Tagesrhytmus mit dieser Wache nicht so optimal. Wenn ich nach der Wache um 8:00 Uhr morgens wieder schlafen gehe, bin ich danach meistens müder als vorher. Außerdem ist in der Zeit, in der man keine Wache hat, Schule, so dass man nicht so viel Interaktion mit anderen hat.
Auch die gute Stimmung mit Singen, die manchmal nach dem Abendessen aufkommt, verpasst man.
Aber diese Woche habe ich während der Wache auch echt viel gelernt und viel Verantwortung übertragen bekommen. An einem Morgen haben wir im Twighlight, also der Zeit, in der man noch die Sterne sieht, aber schon einen hellen Horizont hat, mit einem Sextanten den Winkel der Sterne gemessen.
Danach haben wir damit ganz viel gerechnet. Theoretisch kann man dadurch unsere Position berechnen. Auch wenn ich das alles nicht so wirklich verstanden habe, war das echt spannend.
Diese Woche war das Wetter nicht mehr so super und wir hatten einige Squalls. Daher musste Tamsin manchmal durchgängig auf den Wind achten und, wenn nötig, den Kurs ändern. Ich sollte dann für sie das offizielle Logbook machen. Erst hatte ich etwas Angst etwas falsch zu machen, aber es hat alles geklappt.

Am Abend hab ich dann für die Wache quasi ihren Job übernommen. Ich musste daran denken, zur richtigen Zeit das Logbook zu machen, auf den Wind zu achten und der Person am Steuer anzusagen, was er oder sie steuern soll. Das war sehr aufregend.
Tamsin war natürlich weiterhin immer da, sodass sie etwas sagen konnte, wenn ich etwas vergessen hatte. Ich habe am Ende der Wache dann auch die Übergabe an Chris gemacht. Das bedeutet, dass ich sage, welche Segel wir gesetzt haben, welchen Kurs wir fahren, ob andere Schiffe um uns herum sind und wie die Wolken sind.
Wir hatten einige Gewitterwolken hinter uns, also voraussichtlich Regen in den nächsten Stunden. Da war Chris natürlich sehr begeistert! Heute morgen ist Tamsin kurz in die Messe gegangen um etwas zu frühstücken. Dann war ich wirklich alleine.

Und natürlich ist genau in dieser Zeit ein Alarm angegangen. Ich bin dann schnell runter gegangen, um Ihr Bescheid zu sagen. Aber es war nur eine Piraten-Warnung für irgendwo bei Afrika. Solche Warnungen gibt es häufiger. Sie sind aber für uns nicht von Bedeutung, da diese Gebiete sehr weit weg sind.
Insgesamt war die Woche in der 04:00-08:00 Uhr Wache echt gut. Ich finde es sehr cool, dass ich so viel Verantwortung übertragen bekomme und freue mich über jede Kleinigkeit, die ich dazu lernen kann.
Ich finde es echt gut, dass wir nicht immer die gleichen Wachen haben, da wir so von den verschiedenen Officern unterschiedliche Sachen lernen. Doch obwohl die 04:00-08:00 Uhr Wache diese Woche deutlich besser war, als ich erwartet hatte, freue ich mich jetzt auch darauf, wieder meine Lieblingswache von 0:00 bis 4:00 Uhr zu haben.
PS: Liebe Grüße an alle! Ich hoffe, ihr habt alle eine schöne Adventszeit. Sinja, du musst ganz viel Baumkuchen für mich mitessen! Manchmal vermisse ich euch alle auch ein ganz kleines bisschen.