Datum: 11.03.2022
Autorin: Laure
Position: Nord Atlantik
Geographische Position: 37° 23.3’ N. 032° 11.0’ W
Etmal: 124 (14.787)
Ocean College ist nicht nur eine Reise an Orte, an denen man noch nicht war. Es ist auch (mir ist bewusst wie unglaublich kitschig das klingt, aber es ist einfach war) in gewisser Weise eine Reise zu sich selbst. Ich habe viel über mich und meinen Umgang mit anderen Menschen gelernt. Ein Beispiel: Am Anfang bin ich immer mit einem T-Shirt schwimmen gegangen, weil es mir unangenehm war, meinen Körper zu zeigen. Ich wusste nicht mal, das mir das so unangenehm war. Inzwischen ist es mir so egal, dass ich mich (so wie eigentlich alle) in der Cabin in Anwesenheit von bestimmt vier Menschen umziehe. Man lernt aber nicht nur über sich selbst einiges, vielmehr sammelt man unglaublich viele neue Erfahrungen und bekommt einen anderen Eindruck von der Welt und wie sie funktioniert. Auch hier einige Beispiele:
- Reißende Segel
- bei Seegang kochen
- Unkontrolliert über den Nordatlantik fahren, weil der Helm und der Autopilot gleichzeitig kaputt gehen
- Streit mit Personen, mit denen man am Ende zusammen kotzt und um die man sich, egal wie sehr man sie nicht leiden kann, kümmert
- Sich bei Sturm 20 Meter über dem Schiff befinden während alles schwankt, um das T’gallant zu stowen
- Kartoffeln für ein Gericht, das 30 Leute satt machen muss, schälen und schneiden usw.
Wir haben auch so einige lebenserfahrene Leute und deren Berufe kennengelernt. Selbst wenn man alle, die wir an Land getroffen haben, nicht mitzählt, ist da immer noch die gesamte Crew und die Jobs, die von ihr übernommen werden. Es gibt einige unter uns, die sich jetzt überlegen, doch kein Abitur zu machen und statt dessen eine Ausbildung oder Ähnliches anzufangen. Wenn man bedenkt, das wir - vom schicken Amsterdam
- bis zum Regenwald
- in Industriestädten
- der Stadt, die mehr oder weniger das Ende vom Jakobsweg darstellt
- auf Bonzeninseln, wo man als erstes eine Scharr an Privatyachten sieht
- auf einer Insel mit einem aktiven Vulkan
- im Panama Kanal
- in Kolumbien an bewaffneten Soldaten vorbei, zu einem Tallship das inmitten von Kriegsschiffen stand und
zwischen diesen Stops auf z.B. der Nordsee oder vier Wochen auf dem Atlantik gefahren sind, ist es kein Wunder, dass viele von uns die Welt jetzt mit anderen Augen sehen und manche Probleme und Konflikte in genau dieser Welt besser verstehen. Auch durch die sozialen Schichten sind wir in gewisser Weise gewandert. Es hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, als ich gesehen habe, dass auf Antigua die weiße Bevölkerung auf den Yachten gewohnt und die schwarze Bevölkerung z.B. den Müll weggebracht oder gekellnert hat, obwohl wir im 21. Jahrhundert leben. Wie am Anfang schon gesagt, lernt man auf diesem Schiff viel über sich selbst, aber das ist nicht alles. Man verändert sich. Sowohl physisch als auch psychisch. Mehr als die Hälfte aller Schüler:innen haben sich die Haare geschnitten in einem Maße, das man schon als langfristige Veränderung betiteln kann (ich will ja jetzt nichts sagen, aber fast alle Jungs haben sich auf der ersten Atlantiküberquerung die Haare abrasiert und ich habe vor zwei Tagen auch stattliche 15 cm verloren) und manche haben Ohrlöcher bekommen. So mancher hat auch mit regelmäßigem Sport angefangen und ist kräftiger geworden.
Ich glaube aber, dass wir uns vorwiegend auf mentaler Ebene verändert haben. Vor allem jetzt gegen Ende der Reise. Ich bin wesentlich entspannter und ruhiger geworden was z.B. meine Zukunft oder Schule angeht. Ich bin auch, was Verantwortung für das eigene Leben übernehmen und Selbstverwirklichung betrifft, gewachsen. Ich könnte noch so viele Erlebnisse, durch die ich mich in bestimmten Bereichen des Lebens verändert habe oder einen neuen Blickwinkel auf diese bekommen habe, schildern, aber manche Situationen kann man nur verstehen, wenn man sie erlebt hat.
Zusammenfassend kann man sagen, das man durch diese Reise in gewisser Weise eine Abkürzung zum Erwachsenwerden nimmt, wenn man sich denn darauf einlässt. Bestimmt müssen wir alle noch einiges lernen, aber wir sind auf jeden Fall näher am „Erwachsensein“ dran als viele in unserem Alter und ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich nicht zu der geworden wäre, die ich einmal sein werde, wenn ich nicht für sechs Monate an Board dieses Schiffes gelebt hätte, mit allen guten und schlechten Seiten.