Wofür bist du dankbar in deinem Leben?

Ship: Regina Maris
Date: 18th of April 2025
Position: Amsterdam, Netherlands
Geographical Position: 52°27.828’N 004°35.741’E
Etmal: 118 nm
Total: 12.714 nm / 23.546,3 km

Das hat mich ein wunderbarer Mensch gefragt, an einem wunderbaren Sonntagabend, zum Ende eines wunder-, wunderbaren halben Jahres. Es war der letzte Sonntag in diesem halben Jahr, das betonte er auch. Und danach würden der letzte Montag, der letzte Dienstag und der letzte Mittwoch, Donnerstag und Freitag folgen, bis es dann am Samstag endgültig vorbei wäre.

Das Lagerfeuer flackerte, wenn auch nur digital und im Hintergrund lief Musik, die allein schon fast imstande war, mir die Tränen in die Augen zu treiben – einfach, weil sie fast vergessene Erinnerungen wachrief. Erinnerungen aus einem anderen Leben.

Denn das hier, dieses halbe Jahr, das ist ein anderes Leben. Ein anderes Leben als zuvor und ein anderes Leben als danach. Wie ein Leben im Leben, ein geschenktes Leben und ich weiß immer noch nicht, womit wir uns dieses einzigartige Geschenk eigentlich verdient haben.

Denke ich an vorher zurück, dann kann ich mich zwar erinnern, aber irgendwie nur vage. So, als wäre es sehr viel länger her als nur ein halbes Jahr. Und genau deshalb tue ich mich an diesem Tag auch etwas schwer mit der Beantwortung der Frage.

Sicher, es gibt Dinge, die ich jetzt nennen könnte: Ich bin dankbar für ein Leben in Frieden, für ein Land mit guter Infrastruktur, in dem ich lebe. Ich bin dankbar dafür, jeden Tag etwas zu essen auf den Tisch zu bekommen und dankbar für die Privilegien, die es nun mal mit sich bringt, dass ich mich im Moment eher zu den Wohlhabenden zählen darf.

Das alles sind Dinge, für die bin ich definitiv dankbar. Aber diese Dankbarkeit erfolgt im Moment rational.

Es gab Momente während der Reise, in denen ich diese Dankbarkeit so viel mehr gefühlt habe. Wir haben so viele Menschen gesehen, die in so anderen Lebensbedingungen leben, als wir es kennen und dadurch erst gelernt, welche Privilegien wir in Deutschland einfach haben. Wir haben gelernt, dass es Länder gibt, in denen du schon reich bist, einfach weil du in Euro oder Dollar zahlst.

Und selbst außerhalb unserer Landaufenthalte gab es so viele Momente, in denen ich wirklich dankbar für die Standards zuhause war: Wenn der Wassermacher mal wieder dafür sorgte, dass wir tagelang nicht duschen durften, wenn unsere Vorräte es nur noch hergaben, tagelang Nudeln mit Pesto zu essen oder wenn wir stundenlang darauf warten mussten, aufs Klo gehen zu dürfen, weil es nur vier Toiletten für über 40 Menschen gibt.

In diesen Momenten war ich unglaublich dankbar für die Privilegien, die ich sonst zuhause habe.

Aber heute ist ein Tag, an dem ich die Dankbarkeit für all diese Dinge nicht wirklich fühlen kann. Ich kann im Moment keine Dankbarkeit für Dinge fühlen, die zuhause sind – zuhause ist immer noch so weit weg. Denke ich darüber nach, wofür ich dankbar bin, dann fallen mir jetzt gerade nur zwei Dinge ein: Menschen, die mich gernhaben und die ich gerne habe – ganz egal, ob zuhause oder hier.

Ich bin in einer Stimmung, in der menschliche Kontakte, Beziehungen, Begegnungen das Wertvollste zu sein scheinen, das ich besitze und das ich erhalten kann.

Und ja, deshalb freue ich mich auch auf zuhause. Wegen all der Menschen, die ich wiedersehe. Und doch muss ich mir eingestehen, dass sie – zumindest für den Moment – in den Hintergrund gerückt sind, jedenfalls in Anbetracht all der wunderbaren Menschen hier. Menschen, mit denen ich so viel erlebt habe. Menschen, mit denen ich wirklich zusammengeschweißt wurde, durch all die verrückten Erfahrungen des letzten halben Jahres. Menschen, die zu meiner zweiten Familie geworden sind – trotz all unserer Unterschiede, irgendwie.

Und deshalb ist das Einzige, was mir auf die Frage, wofür ich dankbar bin, sonst noch einfällt: Diese Reise.

Ich bin dankbar für diese Reise. Weit mehr, als ich es vorher jemals auch nur im Entferntesten gedacht hätte. Weil diese Reise eine viel, viel intensivere Erfahrung war, als ich es mir je hätte träumen lassen können – und weil das etwas sehr, sehr Gutes war.

Es ist wie mit der Dankbarkeit: Ich wusste vorher – rational gesehen, vom Kopf her – auf was ich mich einlasse. Aber ich hatte nicht den geringsten Schimmer, wie es sich anfühlen würde.

Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt.

Und weißt du, was das größte Problem bei der Sache ist? Es fühlt sich mit jedem Tag besser an. Mit jedem Tag schließe ich die Menschen mehr in mein Herz. Mit jedem Tag lerne ich sie besser kennen. Mit jedem Tag möchte ich weniger, dass das hier endet.

Es wird enden, das habe ich akzeptiert. So wie alles enden muss – irgendwann. Ohne ein Ende hätte es nur einen halb so großen Wert. Ohne ein Ende in Sicht würde ich nicht jeden Tag wertschätzen, als wäre es der allerletzte.

Bald wird es der allerletzte sein. Und dann ist es vorbei. Dann bleiben die Erinnerungen. Und die Menschen.

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