Soziale Netzwerke oder soziales Leben?

Datum: 04.03.2024
Geographische Position: 28°50.9′ N 072°56.1′ W
Etmal: 114 nm
Total: 8222 nm
Schiff: Regina Maris

Instagram Reels an der Bushaltestelle schauen, mit Freunden „snappen“, ständiger Kontakt mit der Außenwelt, abends Serien auf Netflix schauen und jeden Moment mit dem Handy festhalten wollen. Alles Dinge, die wir hier fast sechs Monate lang nicht hatten, die aber davor für fast jeden hier zum Alltag gehört haben.

Ich persönlich habe mir vor Ocean College keine Sorgen gemacht, was die sehr begrenzte Handyzeit angeht, aber ich habe definitiv unterschätzt, was für eine Wirkung es haben kann, ohne mobile Endgeräte zu leben – vor allem ohne Smartphone.

Am Anfang habe ich mir nicht sonderlich viele Gedanken zu dem ganzen Thema gemacht. Mittlerweile finde ich, dass ich unglaublich privilegiert bin, diese Möglichkeit zu haben, ein halbes Jahr in einer Gemeinschaft mit Gleichaltrigen ohne Handy zu leben.

Eine Schülerin sitzt am Lookout und schaut sich den Sonnenuntergang an.

Momente nicht durch den Bildschirm erleben

Während der ersten Atlantiküberquerung gab es einen Nachmittag, an dem mehr als fünfzig Delfine an uns vorbeigeschwommen sind. Wir standen alle am Bug – manche von uns fast eine Stunde lang und haben dieses wunderschöne Schauspiel beobachtet.

Es war einer der schönsten Momente, die ich auf dieser Reise erlebt habe: Als wir alle vorne standen, ist uns eine Sache aufgefallen; Keiner hatte ein Handy in der Hand und hat gefilmt/fotografiert. In dem Moment ist uns auch aufgefallen, wie viel intensiver wir alles erleben, dadurch, dass wir den Moment nicht durch einen Bildschirm und frei von jeder Ablenkung sehen.

Oft habe ich das Gefühl, dass wir versuchen, Momente festzuhalten, weil wir Angst haben, wir könnten sie sonst „verlieren“. Oder wir versuchen Gefühle, die wir in dem Moment gefühlt haben, durch Fotos und Videos am Leben zu erhalten. Hier ist mir aufgefallen, dass ich mich am besten an die Momente und an die damit verbundenen Gefühle erinnere, als wir ohne Handy unterwegs waren und dass diese Momente dadurch auch viel wertvoller geworden sind.

Eine Schülerin steht am Lookout.

Zusammen alleine sein

Menschen verändern sich, wenn sie ihr Handy haben. Das ist uns vor allem in Costa Rica bewusst geworden, als wir drei Wochen lang unsere Handys hatten und den Unterschied zum Bordalltag gesehen haben. Am Abend, anstatt gemeinsam zu spielen oder zu reden, wie es an Bord immer der Fall war – hatte die Mehrheit ihr Handy in der Hand.

Sobald es mal einen Moment der Langeweile gab waren viele wieder am Bildschirm. Es gab viele kleine Situationen, wo man wirklich einen Unterschied gemerkt hat und leider eher im negativen Sinne. Wir haben viel weniger als Gruppe unternommen, waren mehr „alleine“ bzw. abgeschieden und es gab tatsächlich ein paar Leute, die ich fast gar nicht mehr gesehen habe.

Ich finde, dass wir ohne Handy sehr viel offener und aufmerksamer gegenüber unseren Mitmenschen und auch gegenüber gewissen Situationen sind. Und nicht nur das – wir sind viel mehr als Gruppe unterwegs, machen viel mehr zusammen und gehen generell einfach mehr auf Menschen zu. Durch die Handys waren wir zusammen alleine, wenn man das so ausdrücken kann.

Schüler unterhalten sich mit Einheimischen.

Instagram oder Leben?

Eine andere Sache, die wir hier sehr viel haben, ist Zeit. Und anstatt sie auf Social Media oder generell einfach vor dem Bildschirm zu verbringen, nutzen wir sie für ganz viele andere Dinge. Wenn man mal nichts zu tun hat, sucht man sich Leute, die ebenfalls nichts zu tun haben und man spielt ein Spiel, redet, klettert auf den Mast oder tut alle möglichen anderen Dinge.

Es gibt so viele Momente, die auf dieser Reise passiert sind, die mit Handy wahrscheinlich nicht zustande gekommen wären. In der Zeit, die wir zuhause auf dem Handy verbracht hätten, haben wir so viel erlebt und auch gelernt – auch wenn es „nur“ ein neues Kartenspiel war. Ich finde, dass Handyfreie Zeit so viel Potential für neue Ideen, philosophische Gedanken und Gespräche bringen kann.

Schüler*innen sitzen abends an Deck.

Längst vergessene Zeit… eine Welt ohne Media

Eine Welt ohne Media können wir uns eigentlich gar nicht mehr vorstellen. Wir sind mittlerweile so gewöhnt daran, sofort eine Nachricht abschicken zu können bzw., wenn wir etwas nicht wissen, es sofort nachschauen zu können.

Wir verbringen Stunden auf Instagram, TikTok oder anderen Plattformen und sobald wir eine Ablenkung brauchen, landet das Handy in unserer Hand. Wir haben viel weniger Zeit, verbringen mehr Zeit alleine, auch wenn wir mit anderen Leuten im selben Raum sind und verlernen das selbstständige Denken.

Ich frage mich ehrlich, wie die Welt in ein paar Jahren aussehen wird, was Media angeht, wenn sich schon so viel in meiner Lebenszeit allein verändert hat. Ich frage mich außerdem, wie wir alle nach der Reise mit unseren Handys umgehen werden.

Wir alle hatten/ haben das Privileg, eine Zeit ohne Media zu leben und die Mehrheit ist auch sehr froh darüber. Ich weiß nur, dass ich unglaublich dankbar bin dafür, dass ich hunderte Sonnenuntergänge erleben durfte ohne Bildschirm zwischen mir und dem Himmel.

Dass ich bei zig Spielabenden dabei war, wo keiner von einer Nachricht oder einem Anruf abgelenkt wurde und dass wir in unserer Freizeit oder auf Wache die Sterne beobachtet haben, anstatt auf Instagram zu scrollen.

Ein Sonnenuntergang auf See.

Der heutige Tag

Wir sind immer noch auf dem Weg nach Bermuda. Zum Glück gibt es mittlerweile deutlich weniger Seekranke, also konnten auch fast alle das legendäre Frühstück genießen (Toast aus dem Sandwich-Maker 🙂

Der restliche Tag verlief relativ normal. Schule, Watch, leckeres Essen und Spiele am Abend. Highlight des Tages: Während der Bravo Daywatch haben wir unseren ersten Wal gesichtet! Wir waren alle sehr aufgedreht, als der Wal dreimal aus dem Wasser gesprungen ist 🙂

Eine Schülerin steht am Steuer.

Grüße nach Hause:

Emma: Ich denke ganz fest an euch und freue mich schon sehr bald wieder zuhause zu sein 🙂 Hab euch lieb, love youuuuu sooooo much <3

Mascha: Danke, das ihr mir das hier ermöglicht Mama und Papa<3

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