Manche schlafen lieber aus

Datum: 04.02.2024
Position: Ditsowou Lodge, Bambú
Etmal: 0 nm
Total: 6325 nm
Schiff: Regina Maris

Seit jeher erzählen sich Menschen zur Erheiterung allerlei Geschichten. Ob Märchen zum Einschlafen oder Sagen zur Faszination – der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Um zu zeigen, wie kreativ unsere Gedanken beim (Weiter-)Erzählen von unseren Erlebnissen sein können, benötigt man deshalb auch nur ein paar wenige Zutaten:

1.⁠ ⁠Eine Gruppe 36 abenteuerhungriger Jugendlicher.
2.⁠ ⁠Ein Schiff mit viel Raum für Getuschel untereinander.
3.⁠ ⁠Eine wahre Geschichte.
4.⁠ ⁠Eine groooße Portion Kreativität.
5.⁠ ⁠Viele Löffel freie (Zu-)Dichterkunst.
6.⁠ ⁠Eine Prise Humor.

Nun kann man sich vielleicht vorstellen, wie im Endeffekt aus einer einfachen Badepause mit einem lediglich leicht aufgeschlagenem Knie folgendes dramatisches Heldenepos entstand, das zum heutigen Tagesbericht angeregt hat 😉

Die folgende Kurzgeschichte beruht auf einem wahren Geschehen. Teile der Geschichte und die Namen sind jedoch frei erfunden.

Manche schlafen lieber aus. Peter, Elisa, Lia und ich stehen jedoch schon am Flussufer. Keiner sonst ist wach, um uns eventuell zu retten. Aber egal. Wir haben eine Mission: Den Fluss überqueren. Und die wollen wir nun durchsetzen. Vielleicht ist es sogar gut so, dass keiner wach ist, um uns von unserem Vorhaben abzuhalten.

„Leute, die Strömung ist extrem stark, seid ihr euch sicher?“… Lia hat beim Anblick des reißenden Flusses auf einmal Bedenken. „Egal, in Ufernähe ist es bestimmt nicht so schlimm. Und dort hängen überall Lianen. An denen können wir uns zur Not festhalten.“, Peter klingt optimistisch. Ich stimme ihm sofort zu: „Die Einheimischen meinten auch, man könnte hier schwimmen. Wir sollen uns nur nicht von Wasserschlangen und Krokodilen auffressen lassen.“ „Quatsch, die gibts hier nicht. Die wollten Dich nur auf den Arm nehmen!“ Auch Elisa ist zuversichtlich. Damit war die Sache geklärt. Peter und ich sind schon auf dem Weg ins kühle Nass. „Zu lange überlegen bringt auch nichts!“, ruft er noch, bevor sein Kopf nicht mehr zu sehen ist.

Wegen der starken Strömung taucht er erst fünf Meter weiter wieder auf. Er kann sich gerade noch an einer Liane festhalten, um nicht von weiteren Fluten mitgerissen zu werden. „Bin okay“, ist das Einzige, was Peter mit großer Anstrengung von sich gibt. „Naja, was solls.“ Mit den Worten ist auch Lia endlich im Wasser, dicht gefolgt von Elisa, die wagemutig reingesprungen ist. „Haltet euch an den Lianen fest!“, höre ich Peter rufen, irgendwo hinter mir. Dabei versuche ich schon, mich an einer der herabhängenden, seilartigen Pflanzen festzuklammern, um mich dem tosenden Fluten zu stellen. Es ist anstrengender als gedacht.

Schräg vor mir sehe ich Elisa auf einmal panisch um sich treten, während sie versucht, sich an einer Liane festzuhalten. „Schlange, Schlange!!“ Erst verstehe ich nicht, was Elisa schreit, doch dann erstarre ich. Und da sehe ich auch einen dunklen Schatten direkt neben ihr im Wasser. Unter Schock starre ich auf die Schlange, wenn es denn tatsächlich eine war. Doch in dem Moment glaube ich es sofort. Ich bin plötzlich voller Adrenalin, kann mich sogar noch etwas mehr an der Liane hochziehen.

Ich drehe mich panisch um. Peter und Lia hängen nicht mehr an den Lianen an denen sie wenige Sekunden vorher noch waren. Mit meinen Augen suche ich schnell das Wasser ab. Tränen steigen mir in die Augen. Ich meine, kurz einen Kopf zu sehen, doch enttäuscht merke ich, dass es nur ein Stein ist. „Lia…Peter?!“ Natürlich bekomme ich keine Antwort. Der Fluss ist zu laut. Mir rasen Bilder durch den Kopf: Lia in dem überdimensionalen Maul eines riesigen Krokodils gefangen. Peter von einer Schlange umschlungen, nur noch seine Füße sind zu sehen… „Nele!!!“ Elisas Schrei dringt nur leise zu mir, fast nur ein Flüstern. Dazu ein Blubbern und Platschen. Hektisch drehe ich mich um. Eine Hand klammert sich fest um die dünne Liane, so als würde sie sich am letzten Fitzel Leben festhalten. Sie reißt. Die Verbindung zwischen Leben und Tod reißt. So wie ein dünner Faden an dem ein ganzer Mensch hängt, nur dass es jetzt eine Liane ist. Die Hand, die zu Elisa gehört, versinkt im Fluss.

Ich wünsche mir, dass alles nur ein böser Traum ist, dass ich zu denen gehöre, die lieber ausschlafen.
Ich werde von einem dumpfen Knacken aus meinen Gedanken gerissen. Kurz darauf falle ich in den Fluss. Alles fühlt sich surreal an. Ich spüre nicht die Kälte des Wassers und höre auch nicht das laute Rauschen des Flusses. Nichts. Ich nehme nur am Rande wahr, wie mein Kopf mit Wasser umspült wird. Als ich wieder auftauche, bin ich nur zwei Meter vom Ufer entfernt. Mit voller Kraft schwimme ich zu dem Stein, der einen guten Ausstieg verspricht. Noch immer bewegt sich mein Körper wie ein Roboter, ganz automatisch und ohne Gedanken. Erst als ich triefend nass auf einem kleinen Holzstumpf sitze, beginne ich zu realisieren, was in den letzten Minuten passiert ist.

Etwas legt sich auf meine Schulter. Ich zucke zusammen und möchte das Etwas wegschlagen, doch es ist eine Hand. Langsam drehe ich meinen Kopf, bis ich ein Gesicht erblicke. Es ist Peter. Direkt hinter ihm steht Lia. Beide sehen glücklich aus. „Was ist los? Du siehst aus als wärst du gestorben, auferstanden und hättest dabei noch Krokodile gesehen.“ Peter klingt unbesorgt, es interessiert ihn nur, weshalb ich so zusammengekauert auf einem Holzstumpf sitze. „Hat dir das kleine Abenteuer etwa keinen Spaß gemacht?“ „Wo ist Elisa?“, platze ich heraus.

„Die sitzt ein paar Meter flussaufwärts und kümmert sich um ihre Wunde. Sieht ziemlich mies aus. Sie meint, ein Ungeheurer hätte sie gebissen und in die Tiefen gezogen. Wenn du mich fragst, hatte sie einfach nur zu wenig Schlaf und fantasiert jetzt rum. Es war bestimmt nur ein spitzer Stock.“ Auch Elisa klingt unbesorgt. „Sagt mal, macht ihr euch eigentlich keine Sorgen? Wir wären fast gestorben und ihr redet als wären wir gerade in einem Pool schwimmen gewesen!“

Ich gebe ihnen keine Zeit um zu antworten, stehe auf und mache mich auf die Suche nach Elisa.

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