Wie ein fremder Ort zu einem Zuhause wurde

Datum: 29.02.2024
Geographische Position: 26°12.3′ N 078°05.6′ W
Etmal: 100 nm
Total: 7831 nm
Schiff: Regina Maris

Ich kann mich noch ziemlich genau an den Tag vor etwas mehr als vier Monaten erinnern, als mein vorheriger Alltag von jetzt auf gleich umgeworfen wurde und dieses einzigartige Abenteuer begonnen hat.

Zugegeben, dieser Tag hat mich in vielerlei Hinsicht überfordert und ich wusste überhaupt nicht mehr, wohin mit all den neuen Eindrücken. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich umgesehen und mich gefragt: „Das soll meine Familie und mein neues Zuhause für sechs Monate sein? Wie?“.

Die ersten Wochen danach waren voll gepackt mit neuen Erlebnissen und Erfahrungen. Dennoch kamen hin und wieder Zweifel auf, worauf man sich denn hier eigentlich eingelassen habe, dicht gefolgt von der leisen Angst, dass die kommenden Monate genauso werden würden. Was soll ich sagen, seitdem hat sich definitiv so einiges geändert.

Messroom – mehr als nur mess

Wenn ich mich zurück an meine Ankunft auf der Reggie erinnere, ist insbesondere der Moment, in dem ich das erste mal den Messroom betrete und die Treppen runter in den Flur laufe, sehr präsent. Natürlich hatte man mal das ein oder andere Bild gesehen, doch selbst da zu sein, war nochmal etwas völlig Anderes.

Der 21.10. war ein sehr bewölkter und regnerischer Tag, was vielleicht dazu beitrug, dass mir der mit lauter aufgeregten Teenagern vollgestopfte Messroom in den ersten Momenten ganz besonders dunkel und eng vorkam.

Mittlerweile ist er alles andere als das. Er wurde zu dem Ort, der einem während der Seekrankheit einen den Umständen entsprechenden gemütlichen Platz zum Schlafen bot, an dessen Tischen man endlose Abende mit Spielen verbracht, interessante Gespräche beim Essen oder schon die ein oder anderen hitzigen Kämpfe um das letzte Stück Kuchen geführt hat.

Jetzt ist er für mich der gemütliche, wenn auch hin und wieder laute sowie etwas chaotische Raum, in dem wir alle zusammen kommen. Es ist der Ort, an dem man immer jemanden findet, mit dem man Zeit verbringen kann und der durch unser Lachen erhellt wird. Das Herzstück unseres schwimmenden Zuhauses.

Von leeren Wänden zum Wohlfühlort

Nicht nur meine Sicht auf den Messroom hat sich seit Beginn der Reise verändert, auch der Blick auf unsere Kabinen. Ich habe noch ziemlich genau das Bild vor Augen, wie meine große Reisetasche den gesamten Boden der Kabine einnahm und ich Mühe hatte, einen kleinen Fleck Boden zu finden, um mich zum Ausräumen meiner Sachen hinstellen zu können.

Ganz zu schweigen von der Frage, wo das, was ich da ausräumte, überhaupt hin sollte. Als ich an diesem Abend irgendwann in meinem neuen Bett lag, war ich zwar heilfroh, alles halbwegs irgendwo hingequetscht zu haben doch das Gefühl, so richtig angekommen zu sein, blieb aus.

Dies änderte sich ebenfalls schneller als gedacht. Alles hat mittlerweile seinen Platz gefunden, man erkennt an der Einrichtung, wer da wohnt und auf magische Weise sind sogar leere Stellen unter den Betten oder im Regal entstanden.

Mit der Zeit wurden die Kabinen zu unseren Zimmern, die durch nächtliche Gespräche erfüllt wurden, die Betten zu unserem kleinen Stück Privatsphäre und der Flur vom Durchgang zum Ort abendlicher Zahnputzpartys. 

Unser schwimmendes Haus

Dass wir das Schiff vermissen, sobald wir nicht mehr da sind, wurde besonders während und nach der Zeit in Costa Rica deutlich. So schön die dortigen Erlebnisse, der Pura Vida Lifestyle und die Bewegungsfreiheit von über 50 Metern auch waren, sehnten sich viele bereits nach kurzer Zeit zurück zur Reggie.

Man wollte wieder in seinem Bett schlafen, sein Abendessen auf seinem Lieblingsplatz essen und in der gewohnten Dusche duschen. Wie stark ich unser Schiff vermisst hatte und wie sehr es zu unserem festen Lebensort geworden war, realisierte ich besonders bei unserer Wiederankunft nach den drei Wochen Landprogramm.

Schon auf der Rückreise stieg von Minute zu Minute die Euphorie und als wir dann wieder an Bord ankamen, setzte ein Gefühl von „nach Hause kommen“ ein. Ganz ähnlich, wie wenn man nach einem Urlaub wieder zurück nach Hause kommt und das erste mal durch die Haustür geht. Alles ist einem bekannt und fühlt sich gewohnt an. Genauso erging es uns und ich denke, dass das schon sehr für sich spricht.

Eine zweite Familie

Doch nicht nur das Schiff allein hat zu diesem Gefühl beigetragen. Auch die Freude, unsere Crew endlich wieder zu sehen, war groß und hat deutlich gezeigt, wie sehr sie uns ans Herz gewachsen ist. Ein Schiff wird durch die Menschen, die darauf leben, ausgemacht.

Zwar hatte ich vor der Reise immer wieder gehört oder gelesen, dass man als eine Ocean College Familie wiederkommt, aber ich gebe ehrlich zu, dass ich das insbesondere vor der Reise und in den ersten Tagen mehr für eine Floskel gehalten habe.

Nun, vier Monate später, fällt mir keine passendere Beschreibung ein. Es sind nicht unbedingt die Menschen, die man sich ausgesucht hat, aber es sind die, auf die man sich immer verlassen kann und die man lieben sowie schätzen gelernt hat. Egal, was noch Augenblicke zuvor geschehen ist, sobald es drauf ankommt, ist man bedingungslos füreinander da. Dafür gibt es kein besseres Wort als Familie.

Vom Unbekannten zum Zuhause

So wurden 45 einander unbekannte Leute zu einer Familie und die tagsüber herrschende Weite des Horizonts und die nächtliche einzig durch Mond und Sterne erleuchtete Dunkelheit zur Konstanten, das Geräusch der Wellen und das Gefühl des Windes zur Normalität, jeden Tag woanders sein zur Routine. Die Unsicherheit zu Beginn zu einem Gefühl von Freiheit und Weite. Und letztendlich, das zunächst so fremde Schiff zu unserem Zuhause.

Über heute

Heute haben wir den North West Providence Channel südlich der Little Bahama Bank durchquert. Dabei hat uns der Wind leider im Stich gelassen, weshalb wir unter Maschine unseren Ankerplatz vor Mores Island (Bahamas) anlaufen mussten. Dort warten wir auf besseren Wind, um unsere Reise Richtung Bermuda fortzusetzen.

Im Chemieunterricht mit Ben haben wir uns heute mit der alkoholischen Gärung beschäftigt. Der Tag endete mit „Der Fluch der Karibik“, welchen wir im Sinne des Deutschunterrichts gemeinsam geschaut haben und danach freute sich jeder über die Möglichkeit, am nächsten Morgen ausschlafen zu können 🙂

Grüße:

Darja: Ich hab‘ euch alle ganz doll lieb, fühlt euch gedrückt und bis bald ⭐️ Ganz viel Spaß beim Ball!

Jakob: Liebe Grüße an meine Mutti! Mir geht’s gut und ich hab‘ Dich lieb.

Mascha: Ganz liebe Grüße an meine Family und meine Schwester. Drückt Oki ganz doll!

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